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Im Bus ganz hinten

Im Bus ganz hinten

Titel: Im Bus ganz hinten
Autoren: Fler
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mein Telefon.
    »Hallo, hier ist dein Vater.« Als ich die rauchige Stimme hörte, dachte ich für einen Moment, mein Herz würde stehen bleiben. Der Klang traf mich wie ein Blitz in meinen innersten Tiefen. Er wollte sich tatsächlich mit mir treffen und bestellte mich in besagte Kneipe zwei Ecken weiter.
    »Natürlich komm ich vorbei«, sagte ich und stieg sofort in den Wagen. Ich war so aufgeregt, dass meine Knie schlotterten, aber ich ließ mir nichts anmerken, als ich die Gaststätte betrat. Ich erkannte ihn auf den ersten Blick:
    Er saß am Ecktisch mit so einer Pennerbraut. Es war vier Uhr nachmittags. Beide waren besoffen. So richtige Kneipen-Atzen halt. Er hatte kurze dunkle Locken. Geheimratsecken. Einen stämmigen Körper. So wie ich. Und seine Hände und Augen sahen genauso aus wie meine. Das erschreckte mich irgendwie. An seinem glasigen Blick konnte ich erkennen, dass er sich sehr freute, mich zu sehen.
    »Mann, bist du groß geworden!«, sagte er. Der Moment war einfach viel zu krass, ich war in Stockstarre und gab ihm die Hand wie einem Fremden. Eine Umarmung wäre irgendwie komisch gewesen. Er fragte mich, was ich so machte. Von »Fler« hatte er noch nie etwas gehört. Er wusste nicht, dass ich berühmt war. Wie auch? In der Kneipe bekam man davon vermutlich nichts mit, es spielte einfach keine Rolle. Ich erzählte ihm nicht allzu ausführlich davon, sagte nur, dass ich Musik machte und es ziemlich gut lief. Das freute ihn. Ganz aufrichtig, wie mir schien. Während unseres Gespräches klammerte er sich an seiner Bierflasche fest, und seine rechte Hand zitterte dabei ein wenig. Ich blieb nicht allzu lange.
    Nach einer halben Stunde konnte ich die Luft in der Absteige nicht mehr ertragen und machte mich wieder auf den Heimweg.
    Zwei Tage später rief er mich noch einmal an: »Ich liebe dich, mein Sohn«, schluchzte er ins Telefon. Das schnürte mir die Kehle zu. Ich war total überfordert. Davon, diese Worte aus seinem Mund zu hören, hatte ich mein Leben lang geträumt, aber jetzt konnte ich sie irgendwie nicht mehr annehmen. Sie perlten an mir ab, als wäre ich aus Teflon. Ich konnte nicht sagen, dass ich ihn auch liebte. Das wäre einfach nur Schwachsinn gewesen. Außerdem war er besoffen – und das törnte mich ab. Ich wünschte mir insgeheim, ich könnte so etwas wie Liebe für ihn empfinden, aber mir war auch klar, dass ich mich zu weit von dem kleinen Jungen entfernt hatte, der von diesem Gefühl einmal erfüllt gewesen war. Ich legte auf. Es war das letzte Mal, dass ich von ihm gehört habe.
    Nach dem Telefonat hatte ich das Bedürfnis, ein bisschen spazieren zu gehen. Ich sah aus dem Fenster, es regnete ziemlich heftig, aber das störte mich nicht. Ich streifte mir einen schwarzen Hoodie über, lief nach draußen und atmete tief durch, während die Tropfen auf mein Gesicht prasselten. Und plötzlich bekam ich einen dermaßen heftigen Energieschub, dass mir war, als könnte ich die Luft tiefer einatmen als jemals zuvor. Mein Kopf war vollkommen klar. Ich musste an mich halten, damit ich vor lauter Kraft nicht anfing, mitten am Tag durch Berlin zu joggen. Mir fiel die Nacht ein, in der ich damals mit Shizoe im Dauerlauf durch die Stadt gerannt war, und mir wurde klar, dass es jetzt genau umgekehrt war: Ich lief nicht aus Wut und Angst durch die Straßen, sondern vor lauter Erleichterung. Das Wiedersehen mit meinem Vater war definitiv nicht so gewesen, wie ich mir das immer erträumt hatte. Er war nun mal ein Alki, und Alkis taugen nicht als Bezugsperson.
    Die Vaterrolle war zu groß für ihn – damals wie heute. Das wirklich Großartige war jedoch, dass ich inzwischen mein eigenes Leben führte, in das ich eintauchen konnte, während er sich wieder in seine Eckkneipe verzog. Damals hatte ich mit meiner Mutter am Küchentisch gesessen und gehofft, dass er kommen und mir den Weg in die Welt hinaus zeigen würde. Jetzt ging ich längst auf diesem Weg.
    Ich war unglaublich zufrieden. Ich hörte den Lärm der Autos und sah, wie nach und nach die Lichter über den Schaufenstern eingeschaltet wurden. Berlin war mal wieder die geilste Stadt der Welt. Meine Air Max federten locker auf dem Asphalt. Ich kam vor meiner Haustür an, zog meinen Schlüsselbund aus der Hosentasche und schloss auf. Als ich die Treppen hochlief, fühlte ich den Frieden in mir. Ich spürte in diesem Moment nicht den geringsten Rest von Wut in meinem Bauch.
    Songtext – »Schwer erziehbar 2010«
    Strophe 1 Heute weiß ich, das
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