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Im Bann des Adlers

Im Bann des Adlers

Titel: Im Bann des Adlers
Autoren: Gianina Baloff
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Gehsteig wechselte, fuhr in eben diesem Moment der Linienbus die Straße entlang. Da der Fahrer damit beschäftigt war, die Straßenschilder zu lesen, geriet er anscheinend nach rechts und erfasste meinen Bruder mit voller Wucht, als dieser gerade den Gehsteig betreten wollte. Er war so schwer verletzt, dass er noch auf dem Weg ins Krankenhaus verstarb.“
    Das Mädchen trauerte mit mir. Sie schnappte sich ebenfalls ein Taschentuch und trocknete abwechselnd ihre und meine Tränen. „Danach war alles anders. Meine Eltern konnten seinen Tod einfach nicht akzeptieren, selbst seine Wohnung wollten sie nicht kündigen. Irgendwie hatte ich immer das Gefühl, sie gaben mir die Schuld. Es wurde nie tatsächlich ausgesprochen, aber jedes Mal wenn Sie mich ansahen oder mit mir sprachen, wurde die Distanz größer zwischen uns. Eines Tages, als mein Vater einmal wieder so eine indirekte Bemerkung machte, schrie ich ihn an, er solle doch endlich zugeben, dass in ihren Augen mein Bruder nur wegen mir nicht mehr lebte. Er sagte nichts und meine Mutter auch nicht. Da war mir klar, ich hatte in Deutschland keine Familie mehr und konnte genauso gut auch ins Ausland gehen. Weit weg von all der Traurigkeit und meinen eigenen Schuldgefühlen.“
    All das kam mir so leicht von den Lippen, es war als hätte ich nur darauf gewartet, es endlich los zu werden. Dabei konnte ich mich nicht beschweren, meine beste Freundin Hillary hörte mir immer zu und bot mir auch eine Schulter zum Weinen. Keine Ahnung, warum ich nun plötzlich so vertraut mit Nadine umging. Das war ich sonst nie mit fremden Menschen und das war sie ja nun mal für mich, eine fremde Frau. Ganz sanft unterbrach Nadine meinen Redefluss, und meinte das Essen sei nun so weit und der Vater fände es nicht gut, wenn wir zu spät kommen. Mir stand nun der Sinn so überhaupt nicht nach Essen, doch sie bestand darauf. Sie nahm mich bei der Hand und gemeinsam gingen wir durch den Flur und die Treppe hinunter in die große Halle. Den Raum, der mir schon bei meiner Ankunft so kahl und düster vorkam.
    An den langen Tafeln saßen schon viele schwarz gekleidete Menschen. Nadine wies mir einen Platz zwischen zwei nett aussehenden Frauen zu und erklärte mir, sie müsse mich nun verlassen, da sie als Geweihte nicht mit uns essen dürfe. „Wir sehen uns doch noch?“, fragte ich sie fast verzweifelt. „Aber sicher, ich werde dir morgen Nachmittag einiges zeigen.“ Mit diesen Worten drehte sich das hübsche Mädchen um und verschwand. Morgen also, so lange hatte ich gar nicht vor zu bleiben. Nun brach schon die Nacht herein. Eigentlich hätte ich diese Nacht sehr gerne in meinem Bett verbracht und noch lieber mit José. Bei diesem Gedanken fiel mir aber auch gleich wieder Victor ein und ich überlegte tatsächlich, wie er denn wohl als Liebhaber sein möge. Dieser Mann zog mich in seinen Bann, obwohl ich wusste, dass er Priester war und eine Zukunft mit ihm gar nicht denkbar. Gerade als ich aufsah, betrat Victor den Raum und kam zum Tisch. Ich glaubte von meinen widerstreitenden Gefühlen zerrissen zu werden, als er sich auch noch genau mir gegenüber an die Tafel setzte. Hoffentlich war von meinem innerlichen Kampf in meinem Gesicht nichts zu lesen. Mir war heiß und kalt auf einmal ich konnte nicht sagen, ob ich jemals so empfunden habe. So intensiv haben mich meine Gefühle nicht mal bei José überrannt. Doch wie hätte ich zwei so grundverschiedene Menschen auch miteinander vergleichen können.
    Vier junge Männer kamen herein und verteilten im Raum sieben Kerzenleuchter. Je einen an jeder Ecke des Raumes und die anderen drei auf den Tischen. Offenbar waren auch Priester romantisch, wobei es eher aussah, als würden die Leuchter genau nach Plan verteilt. Kurz darauf brachten die gleichen Männer Schüsseln mit dampfender Suppe und verteilten diese auf den Tischen. Um mich herum erhob sich Gemurmel und ich hörte leise Gesangsfetzen, konnte aber keine genauen Worte verstehen. Die Mahlzeit wurde verteilt und erst jetzt bemerkte ich, wie sehr mir doch mein Magen knurrte und wie lange ich schon nichts mehr gegessen hatte. Es schmeckte wie Eintopf, vielleicht etwas würziger, doch es war nahrhaft und ich beschloss nach der langen Enthaltsamkeit, mir noch einen zweiten Teller zu gönnen.
    „Schmeckt es dir?“ war Victors Kommentar zu meinem Nachschlag. „Danke gut, obwohl ich mit dieser Art von Küche nicht vertraut bin.“ Er lächelte mich nur an und sagte nichts weiter. Auch nach dem
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