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Im Auftrag der Rache

Im Auftrag der Rache

Titel: Im Auftrag der Rache
Autoren: Col Buchanan
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weißes Haar hatte sie mit einer Schleife zusammengebunden. Ihre zarten, runzligen Hände hielten Messer und Gabel und schwebten über einem kleinen Teller mit Speisen, während sie mit großer Sorgfalt kaute.
    Schon seit vier Tagen hielt Asch auf seinem Dach Wacht, und jede Nacht hatte er diese Frau dabei beobachtet, wie sie allein und ohne Diener in der Nähe aß. Sie saß in den kältesten und schwärzesten Stunden der Nacht dicht beim leeren Kopfende des langen Tisches und starrte in die Tiefen der Kerzenflamme vor ihr, während sie speiste. Gelegentlich traf das Messer oder die Gabel mit einem harschen Klirren auf den Teller, das für Asch irgendwie nach Einsamkeit klang.
    Seine Neugier hatte eine Geschichte um diese Nachteule gewoben. Sie war einst eine junge, privilegierte Frau von großer Schönheit gewesen und an einen Mann von hohem gesellschaftlichem Stand verheiratet worden. Doch sie hatte keine Kinder – oder falls es doch welche gegeben haben sollte, dann waren sie schon lange aus ihrem Leben verschwunden. Und der Gemahl, der Herr des Hauses, war möglicherweise in der Blüte seiner Jahre von einer Krankheit dahingerafft worden. Ihr waren nichts als Erinnerungen und eine bittere Appetitlosigkeit geblieben, die nur dann verschwand, wenn die Träume der Vergangenheit sie aus dem Schlaf weckten.
    Oder sie ist ebenfalls von ihrer Blase geweckt worden , dachte Asch, der nun grunzte und sich einen Narren schalt.
    Ein Plätschern gegen das Glas teilte ihm mit, dass er sich in seiner Neugier zu weit zur Seite gebeugt hatte und nun auf eine Ecke des Oberlichts pinkelte. Sofort kniff er den Strahl ab, als die Frau hochschaute.
    Asch hielt die Luft an und bewegte sich nicht. Er war sich ziemlich sicher, dass sie ihn in diesem schwachen Licht nicht sehen konnte, auch wenn er sich einen seltsamen Augenblick lang wünschte, sie könnte es doch.
    Sie schaute hinunter auf den Tisch und wandte ihre Aufmerksamkeit wieder dem kargen Mahl zu. Asch schüttelte sich trocken und wischte sich die Hände an seinem Hemd ab. Er nickte der Frau einen stummen Abschiedsgruß zu, drehte sich um und wollte sich gerade auf den Rückweg machen.
    In diesem Moment bemerkte er ein Flackern des Kerzenlichts. Eine große Feuermotte, die aus sich selbst heraus leuchtete, umschwirrte die Flamme wie in einem Balztanz. Die Flamme zuckte ganz kurz gegen das Geschöpf. Asch und die Witwe sahen gebannt zu, als die Motte vom Feuer eingefangen wurde. Ein Flügel klebte nun am Wachs fest. Er drehte sich, entzündete sich, und der andere schlug in einem rasenden Rhythmus, als zunächst der Körper der Motte und dann auch der zweite Flügel in Flammen aufging, bis sie nichts mehr als eine sich windende Gestalt war, die auf einem winzigen, knisternden Scheiterhaufen verbrannte.
    Asch wandte den Blick ab. Nun hatte er einen bitteren Geschmack im Mund. Er brachte es nicht über sich, noch einmal hinzusehen. Stattdessen kletterte er so schnell wie möglich die Ziegelwand hoch, als ob er vor den Bildern fliehen wollte, die plötzlich am Rande seines Blickfeldes ungebeten aufflackerten.
    Aber er konnte ihnen nicht aus dem Weg gehen. Als er sich über die Brüstung rollte, sah er einen Augenblick lang nichts anderes als einen jungen Mann, der auf einem anderen Scheiterhaufen kämpfte. Es war sein Lehrling, der junge Nico.
    Asch saugte die Luft ein, als ob er einen plötzlichen heftigen Schlag erhalten hätte. Sein Blick stieg zu dem Tempel des Wisperns, dessen hoch aufragender Schatten mit Bändern aus erhellten Fenstern umwoben war. Irgendwo im Inneren weinte die Matriarchin um ihren Verlust, vermutlich in der Sturmkammer ganz oben, die ebenfalls hell erleuchtet war. So war es bereits in den vier vergangenen Nächten gewesen, die Asch auf seinem Wachposten verbracht hatte.
    Er blies in die Hände und rieb sie gegeneinander. In letzter Zeit war ihm andauernd kalt. Er bemerkte, dass die linke Hand zitterte, nicht aber die rechte. Asch ballte die Linke zur Faust, als ob er das Zittern vor sich selbst verbergen wollte.
    Nach einem Augenblick setzte er sich auf seinen Umhang und machte es sich hinter dem Teleskop bequem, das auf einem Dreifuß vor ihm stand und auf die Sturmkammer ausgerichtet war. Er nahm den Beutel mit Cheemfeuer, zog den Korken heraus und trank einen kleinen Schluck. Gegen die Kälte , sagte er sich. Und damit ich schlafen kann . Er warf den Beutel neben sein Schwert, das aufrecht gegen die Betonwand lehnte, genau wie die kleine Armbrust, aus
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