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Im Angesicht der Schuld

Titel: Im Angesicht der Schuld
Autoren: Sabine Kornbichler
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Kraft gehabt, dann hätte ich sie schützend um meinen Körper geschlungen.
    » Was ist passiert, Frau Gaspary? « Außer Atem kam mir Mariele Nowak im Schlafanzug mit einem Bademantel darüber entgegengelaufen. Die grauen Haare, die sonst immer von einem Knoten zusammengehalten wurden, fielen ihr lose auf die Schultern. » Ist etwas mit Jana? «
    Wie ein Roboter schüttelte ich den Kopf. » Sie schläft. Können Sie auf sie aufpassen, solange ich fort bin? Mein Mann … «
    » Was ist mit Ihrem Mann? «
    » Ich muss ihn sehen. «
    » Frau Gaspary … « Hinter mir war die Kripobeamtin aufg e taucht. » Ich weiß nicht, ob … «
    » Ich muss ihn sehen! «
    Das Blut war aus dem Gesicht meiner Nachbarin gewichen. » Wie schlimm ist es? «, fragte sie Felicitas Kluge, als wüsste sie, dass ich ihr die Antwort schuldig bleiben würde.
    » Gregor Gaspary ist heute Abend tödlich verunglückt. «
    Der Funke Hoffnung, den ich eben noch in der Miene meines Gegenübers entdeckt zu haben glaubte, erlosch augenblicklich. Zurück blieb nur Entsetzen im Gesicht der rund sechzigjährigen Frau, die seit zwei Jahren un sere Nachbarin war und die ich nur von den alltäglichen kurzen Gesprächen auf der Straße kannte. Ihr schien es ebenso kalt zu sein wie mir. Unablässig rieb sie sich mit den Händen über die Oberarme.
    » Jana schläft fest, es ist unwahrscheinlich, dass sie aufwacht. « Mir fiel ein, dass sie bis zu diesem Tag unsere Wohnung noch nie betreten hatte. » Das Kinderzimmer ist am Ende des Flurs links. Die Tür ist nur angelehnt. Sollte sie wider Erwarten aufwachen, dann … «
    » Wir beide werden schon klarkommen, Frau Gaspar y. «
    Ich nickte. Ja, sie würde mit Jana klarkommen. Sie gehörte zu jenen Erwachsenen, die ein eineinhalbjähriges Mädchen ernst nahmen und versuchten, ein Gespräch auf Augenhöhe mit ihm zu führen. Mit Blick über die Schulter sagte ich: » Gehen wir, Frau Kluge … «
    » Wollen Sie keinen Mantel anziehen? Draußen ist es kalt « Felicitas Kluges Blick wanderte von mir zu meiner Nachbarin, von der sie sich offensichtlich Schützenhilfe erhoffte.
    » Hier drinnen ist es auch kalt «, entgegnete ich, ließ es jedoch zu, dass eine der beiden Frauen mir in den Mantel half. Im Rückblick hätte ich nicht sagen können, welche von beiden es gewesen war. Meine Wahrnehmung war mir vorausgeeilt. Zu Gregor, der irgendwo da draußen lag –in einer Kälte, die er nicht mehr spürte.
    3
    Je näher wir Gregors Kanzlei in der Isestraße kamen, desto greller wurden die lichter. Scheinwerfer beleuchteten das Areal vor dem Haus, grün-weiße Plastikbänder grenzten es ab. Es gab ein Davor und ein Dahinter, so wie es jetzt ein Davor und ein Danach gab. Das Dahinter war wie das Danach: Es änderte alles.
    Felicitas Kluge dirigierte mich zu der Stelle, an der mein Mann sein Leben verloren hatte. Auf dem Weg dorthin hielt uns ein Kollege von ihr auf. Wie ich später erfuhr, war er ihr Chef. Er stellte sich mir als Kai-Uwe Andres vor.
    Behutsam hielt er mich am Arm zurück. » Gehen Sie nicht weiter, Frau Gaspary. Ihr Mann ist tot, behalten Sie ihn so in Erinnerung, wie er zu Lebzeiten aussah. «
    Mit großer Anstrengung gelang es mir, ihn anzusehen. » Ich möchte mich von meinem Mann verabschieden. «
    » Aber … « Unschlüssig wanderte sein Blick zwischen mir und seiner Kollegin hin und her.
    » Bitte! « Meine Stimme würde mir nicht mehr lange geho r chen. Ich musste die Zeit, die mir blieb, nutzen. Aus dem Augenwinkel beobachtete ich zwei Männer, die einen Sarg trugen. » Bitte, ich möchte zu ihm. «
    Mit einem Nicken ließ er uns vorbei. Felicitas Kluge geleitete mich durch das schmiedeeiserne Tor i n d en Vorgarten. Die Männer mit dem Sarg waren bereits dort. Sie bat sie, einen Moment zu warten, bückte sich und schlug die Plane zu unseren Füßen zurück. Gregors Gesicht wirkte schief, als hätten sich die Proportionen geändert. Auf der einen Seite war es eine blutige Masse, auf der anderen fast unversehrt. Während ich in die Knie ging, konzentrierte ich mich auf diese unversehrte Seite.
    Mein Herz begann zu stolpern und nahm mir für einen Auge n blick die Luft. Ich atmete dagegen an. Vielleicht hatte ich nur noch diesen einen Moment mit Gregor, da durfte ich nicht schlapp machen. Die feuchte Erde, in die sich meine Knie bohrten, schien mehr Wärme übrig zu haben als mein Körper. Ich schlug die Plane weiter zurück und suchte nach Gregors Hand. Sein Arm war merkwürdig verdreht. Als ich
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