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Im Angesicht der Schuld

Titel: Im Angesicht der Schuld
Autoren: Sabine Kornbichler
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konnte förmlich riechen, dass er jema n dem gegenübersaß, der seine Geduld strapazierte.
    » Soll ich kommen und dich retten? «, fragte ich.
    » Nicht nötig. « Jetzt war es ein Lachen, das er unterdrückte. » Bis später! «
    Ich wusste: Wenn er eine Stunde sagte, dann konnten auch leicht zwei daraus werden, deshalb richtete ich mich darauf ein, den Abend allein zu verbringen.
    Fast pünktlich nach zwei Stunden klingelte es. Gregor wird mal wieder seinen Schlüssel vergessen haben, dachte ich, als ich mich aus der Decke auf dem Sofa schälte, zur Tür ging und öffnete. Statt meines Mannes stand dort jedoch eine Frau, die ich nicht kannte.
    » Frau Gaspary? «, fragte sie. » Helen Gaspary? « Allem A n schein nach fror sie, denn sie hatte die Schultern hochgezo gen und trat von einem Fuß auf den anderen.
    » Ja. Und Sie sind …? «
    » Felicitas Kluge «, stellte sie sich vor. Sie zog einen Ausweis aus der Tasche ihres Mantels und ließ mir Zeit, ihn zu studieren.
    Ich las: Kriminaloberkommissarin … LKA 41.
    » Frau Gaspary, ich habe eine schlechte Nachricht für Sie. Ist es möglich, dass wir hineingehen? «
    Ohne mich von der Stelle zu rühren, sah ich sie an. Eine schlechte Nachricht? » Kriminalpolizei? Ist etwas mit Isabelle? « Meine Schwester war immer wieder für solche schlechten Nachrichten gut. Entweder sie brach sich beim Freeclimbing ein Bein, weil sie sich überschätzte, oder einen Arm, weil sie zwischen Straßenbahnschienen unbedingt freihändig Fahrrad fahren musste. Bisher waren uns solche Nachrichten allerdings noch nie von der Polizei überbracht worden.
    » Wollen wir nicht erst einmal hineingehen? «
    » Was ist meiner Schwester passiert? «
    » Ihrer Schwester ist nichts passiert, zumindest ist mir nichts in dieser Hinsicht bekannt. Bitte … lassen Sie uns hineingehen. «
    Wortlos gab ich ihr ein Zeichen, mir zu folgen. Im Wohnzi m mer wandte ich mich zu ihr um und sah sie stirnrunzelnd an. » Das LKA 41 … worum geht es da? «
    » Um Todesermittlungen. «
    » Wie lautet Ihre schlechte Nachricht? « Ich hörte meine Sti m me, als stünde ich neben mir. Die einzelnen Worte klangen, als entstammten sie einem Sprachcomputer.
    » Wollen Sie sich nicht setzen, Frau Gaspary? «
    » Nein … « Setzte man sich nicht immer nur dann, wenn es ganz schlimm kam? » Bitte sagen Sie mir, um wen es geht «
    » Ihr Mann Gregor ist bei einem Sturz vom Balkon seiner Kanzlei zu Tode gekommen. Nach einer ersten vorsichtigen Einschätzung der Situation handelt es sich u m S elbsttötung. « Sie hatte sehr langsam gesprochen. Jetzt schwieg sie und sah mich an. War es aus Betroffenheit, aus Mitgefühl? Oder aus der Erfahrung, dass eine solche Nachricht nicht so schnell zu begreifen ist, wie sie ausgesprochen wird? » Haben Sie mich verstanden, Frau Gaspary? «
    Meine Kehle war so trocken, dass mir das Schlucken schwer fiel. Ich konzentrierte mich auf diesen einen Punkt in meinem Hals.
    » Möchten Sie jemanden anrufen und bitten, bei Ihnen vorbe i zukommen? «
    Wieder versuchte ich zu schlucken, aber mein Hals schien angeschwollen zu sein. Ich brachte nur ein unverständliches Krächzen heraus.
    » Haben Sie Freunde, die kommen könnten, oder jemanden aus Ihrer Familie? « Ihr Blick ließ nichts im Unklaren. Mit Worten hätte sie nicht besser ausdrücken können, wie Leid es ihr tat, mir diese Nachricht zu überbringen. » Ich werde so lange bei Ihnen bleiben, bis jemand hier ist und sich um Sie kümmert. Wollen wir gemeinsam überlegen, wer dafür in Frage kommt? «
    Ich schüttelte den Kopf. Noch gelang es mir, klar zu denken, deshalb wollte ich keinen einzigen Gedanken an Unwichtiges verschwenden. » Wo ist mein Mann? «
    » Zurzeit ist er noch an der Unglücksstelle. Wenn die Spurens i cherung abgeschlossen ist, wird er ins Institut für Rechtsmedizin in der Uniklinik gebracht. «
    Ich ging zu einem kleinen Schrank, auf dem das Telefon stand, suchte eine Nummer aus dem Telefonbuch und rief meine Nachbarin an. Nach dem fünften Klingeln hörte ich, wie sie sich meldete. » Frau Nowak, hier ist Helen Gaspary. Könnten Sie bitte einen Moment zu uns herüberkommen? « Das Atmen fiel mir schwer. » Es handelt sich um einen Notfall. « Ich legte auf, ohne ihre Antwort abzuwarten. Zu Felicitas Kluge gewandt sagte ich: » Sie wird gleich hier sein, sie wohnt im Nachba r haus. « Steifbeinig ging ich zur Tür und öffnete sie.
    Ein kalter Windzug schlug mir entgegen. Hätten meine Arme noch einen Rest an
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