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Im Angesicht der Schuld

Titel: Im Angesicht der Schuld
Autoren: Sabine Kornbichler
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die wirksa m ste Möglichkeit war, wenn Worte nicht mehr halfen. Mein Schweigen löste bei ihr den Tränenstrom aus.
    Schluchzend stammelte sie ins Telefon, dass sie das Gespräch jetzt beenden müsse. Es dauerte keine zwei Sekunden, und die Leitung war tot.
    Das unangenehme Gefühl, das dieses Telefonat bei mir hinte r ließ, war nur schwer abzuschütteln. Am liebsten hätte ich laut geschrieen, um meine Aggressionen loszuwerden, aber ich nahm mich zusammen und ging zu Jana.
    Der Küchenboden sah aus wie ein Schlachtfeld. Töpfe und Pfannen schmückten in lockerer Anordnung di e S teinfliesen. Mittendrin saß Jana und redete mit den einzelnen Teilen, als wären sie ihre besten Freunde. Ich hätte etwas darum gegeben, ihre scheinbar unzusammenhängenden Worte zu verstehen.
    » Na, meine Süße, amüsierst du dich gut? «
    Sie stand auf, kam zu mir und streckte mir ihre Speckärmchen entgegen. » Ma … «
    » Das ist ein wunderbarer Anfang «, sagte ich mit einem glüc k lichen Lächeln, während ich sie hochnahm. Jana war eine kleine Spätentwicklerin, was das Sprechen anging, aber ich ließ mich deswegen nicht aus der Ruhe bringen. Die einfachen Worte, die andere in ihrem Alter bereits artikulieren konnten, verweigerte sie standhaft. Beim Laufen und Klettern war sie dafür flink wie ein Wiesel. Allem Anschein nach war es ihr wichtiger, ihre Welt zu erkunden, als irgendwelchen Sprachentwicklungsnormen zu entsprechen.
    Mein Blick wanderte über ihr Gesicht, das meinem so ähnlich sah. Im Gegensatz zu mir hatte Jana jedoch leicht abstehende Ohren –die hatte sie eindeutig von Gregor.
    » Ich hoffe, die lässt du dir nie operieren! « Ich liebte diese Ohren, sie verliehen ihr einen so fröhlichen Ausdruck.
    Jana begann – genau wie vorher bei ihrem Stoffhund –meine Nasenlöcher zu inspizieren. Lachend riss ich meinen Kopf zurück, weil es kitzelte.
    » Außerdem hoffe ich, dass du Antennen entwickelst, die dich später um Männer wie Joost einen riesigen Bogen machen lassen. «
    » Wa … wa … «
    » Wie du das machen sollst? Lass deinen Vater un d m ich nur machen! Uns fällt dazu ganz bestimmt jed e M enge ein. «
    Mit entschlossenen Bewegungen wand sie sich aus meinen Armen und nahm sich den nächsten Küchenschrank vor. Jetzt waren die Holzbrettchen dran. Si e s uchte so lange, bis endlich eines in einen der Töpfe passte.
    » Oh. « Mit staunenden Augen begutachtete sie ihr Werk.
    Ich klatschte in die Hände und löste damit bei ihr ein freudiges Glucksen aus. Plötzlich spürte ich, dass sich die Aggressionen, die mich vor kurzem noch hatten schreien lassen wollen, in Nichts aufgelöst hatten.
     
    » Nein, ich werde meinen Mund nicht halten, Joost. Das kannst du nicht von mir erwarten «, sagte Gregor.
    Ich saß im Arbeitszimmer und schrieb an der Beurteilung eines kleinen Aquarells, als Gregors Stimme vom Wohnzimmer aus zu mir herüberdrang.
    » Bring das in Ordnung! « Seinem Tonfall nach zu urteilen, war er ziemlich aufgebracht » Nein, ich meine genau das, was ich gesagt habe. Und ich habe es gesagt, weil ich dein Freund bin. Ich könnte es mir auch sehr viel einfacher machen und meine Augen verschließen. «
    Ich stöhnte genervt auf. Für mein Empfinden strapazierten Annette und Joost unsere Freundschaft in den vergangenen Tagen über Gebühr. Warum konnte Joost Gregor nicht weni g stens an diesem Abend verschonen? Er hatte einen harten Tag gehabt und sich ein bisschen Ruhe und Entspannung verdient. Da ich bei der Lautstärke, in der das Gespräch mittlerweile geführt wurde, nicht arbeiten konnte, schloss ich meine Tür. Jetzt hört e i ch Gregor zwar immer noch, konnte aber die einzelnen Worte nicht mehr verstehen.
    Als zehn Minuten später Stille eingekehrt war, ging ich ins Wohnzimmer, wo Gregor in dem alten ledernen Ohrensessel seines Vaters saß. Ich ließ mich auf der Lehne nieder und strich ihm zärtlich über die Wange.
    » Ein ähnlich unangenehmes Gespräch habe ich heute auch geführt «, sagte ich. » Annette meinte, mir Vorhaltungen über mangelnde Freundschaft machen zu müssen. «
    Gregor fuhr sich über die Augen, als schmerzten sie ihn.
    » War ’ s schlimm? «, fragte ich ihn.
    Er schüttelte den Kopf. » Erzähl mir etwas von Jana. «
    » Meinst du dieses kleine Mädchen, das im Zimmer gegenüber wohnt? Dieses Mädchen, das über genauso viel Einfallsreichtum wie Stimmgewalt und Durchsetzungsvermögen verfügt? Das der festen Überzeugung ist, alle Menschen seien ausschließlich
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