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Ilium

Titel: Ilium
Autoren: Dan Simmons
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sitzen bleiben würde, bis er den Mund aufmachte, und er hatte momentan nicht die Kraft, aufzustehen und wegzugehen.
    »An einem Ort namens Jerusalem gibt es einen blauen Scheinwerferstrahl, der in die Nacht emporscheint«, sagte er schließlich, »und in diesem Licht sind über neuntausend von Savis Leuten gefangen. Neuntausend Juden. Was immer Juden sein mögen.«
    Ada sah ihn verständnislos an. Daeman wurde klar, dass sie diesen Teil ihrer Geschichte noch nicht gehört hatte. Sie alle erlernten allmählich die hohe Kunst des Geschichtenerzählens wieder; auf diese Weise füllten sie ihre Abende im Kerzenschein mit etwas anderem als nur Geschirrspülen.
    »Bevor der von Odysseus prophezeite Krieg hierher kommt«, sagte Daeman leise, aber in entschlossenem Ton, »bevor mir keine andere Wahl mehr bleibt, als mich an einem gewaltigen Kampf zu beteiligen, den ich nicht verstehe, werde ich versuchen, diese neuntausend Menschen aus dem gottverdammten blauen Licht herauszuholen.«
    »Wie?«, fragte Ada.
    Daeman lachte. Es war ein unbekümmertes, unbefangenes Lachen, etwas, das er in den letzten zwei Monaten gelernt hatte. »Ich habe nicht den leisesten Schimmer«, sagte er.
    Er stand mühsam auf, ließ sich von Ada stützen, und sie gingen Seite an Seite den Hügel hinauf nach Ardis Hall. Einige der Jünger zündeten bereits die Laternen am Tisch vor dem Haus an, obwohl es erst in einer Stunde Abendessen gab. Heute war Daeman an der Reihe, beim Zubereiten der Mahlzeit zu helfen, und er versuchte sich daran zu erinnern, für welchen Gang er zuständig war. Hoffentlich für den Salat.
    »Daeman?« Ada war stehen geblieben und sah ihn an.
    Er blieb ebenfalls stehen und erwiderte ihren Blick. Er wusste, dass die junge Frau Harman bis ans Ende ihrer Tage lieben würde, und war irgendwie froh darüber. Vielleicht lag es an den Verletzungen und an der Erschöpfung, aber Daeman wollte nicht mehr mit jeder Frau schlafen, die er kennen lernte. Allerdings hatte er seit dem Meteorschauer auch nicht viele neue Frauen kennen gelernt.
    »Daeman, wie hast du es gemacht?«, fragte Ada.
    »Was denn?«
    »Caliban getötet.«
    »Ich bin nicht sicher, dass ich ihn getötet habe.«
    »Aber du hast ihn besiegt«, sagte die junge Frau in beinahe grimmigem Ton. »Wie?«
    »Ich hatte eine Geheimwaffe«, sagte Daeman. Noch während er es aussprach, wurde ihm klar, dass es die Wahrheit war.
    »Welche?«, fragte Ada. Die Abendschatten lagen lang und weich auf der sanft abfallenden Rasenfläche um sie herum, und der Abendhimmel über Ardis Hall war freundlich, aber Daeman sah, dass sich am Horizont hinter Ada dunkle Wolken sammelten.
    »Zorn«, sagte er schließlich. »Zorn.«
     

65
Indiana, 1200 v. Chr.
    Ungefähr drei Wochen nach Beginn des Krieges zur Beendigung aller Kriege – kein Scherz! – qte ich mit Hilfe meines goldenen Medaillons zur anderen Seite der Welt. Ich hatte Nightenhelser versprochen, dass ich zurückkommen würde, um ihn zu holen, und ich halte meine Versprechen immer, wenn ich kann.
    Nach Ilium-Olymp-Zeit war ich mitten in der Nacht aufgebrochen, unmittelbar im Anschluss an eine Besprechung in einem der neuen explosionssicheren Zelte, in denen Achilles sich jetzt mit seinen überlebenden Hauptleuten trifft. Ich war aus einer Laune heraus wegteleportiert – im Wissen, dass derartige private Quantenteleportationen bald der Vergangenheit angehören werden –, und es ist ein Schock, als ich an einem sonnigen Vormittag auf einem grasbewachsenen Hang im prähistorischen Nordamerika ankomme. In der Umgebung von Ilium wächst heutzutage nicht viel Gras, und auf den blutigen Ebenen des Mars gar keins.
    Ich wandere den Hang hinab zum Fluss, überquere ihn und betrete den Wald. Ich staune über das Sonnenlicht und die relative Stille hier. Keine Explosionen, keine Todesschreie, keine Götter, die mitten in das gewalttätige Durcheinander brüllender Männer und kreischender Pferde hineinteleportieren. Etwa eine Minute lang habe ich Angst, dass Indianer in der Nähe sein könnten, aber dann lache ich über mich selbst. Ich trage in diesen Tagen keine Stoßpanzerung, und ich habe auch keinen magischen Hades-Helm und kein Morpharmband mehr, aber meine Bronze- und Duraplast-Rüstung ist bereits geprüft worden. Und ich kann jetzt mit dem Schwert an meinem Gürtel und dem Bogen über meiner Schulter umgehen. Falls ich allerdings Patroklos begegne, und wenn es ihm gelungen ist, sich zu bewaffnen, und wenn er nachtragend ist – und
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