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Ihre Leidenschaft

Ihre Leidenschaft

Titel: Ihre Leidenschaft
Autoren: Véronique Olmi
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Erinnerung und Erwartung, die geweitete, vom Geliebten ausgefüllte Zeit, aber dann …
    Aber dann, mein Schätzchen … wo ist er, dieser Mann? Was macht man mit einer Liebe, die sich am falschen Ort einnistet, die sich in der Person irrt? Was wirst du mit dieser Leidenschaft anfangen, sie ist so schwer, sie ist so groß, sie kann dich nicht einfach so sitzenlassen, jetzt, in einer Nacht, in einem Zimmer, auf einer Autobahn, das ist, als würde man sich an einer Glasscheibe stoßen, rückwärts laufen, mit offenen Augen schlafen, das ist tot sein, tot und zugleich lebendig, das gibt es nicht, wie machen es die anderen alle, die nicht an Liebe sterben? Wie leben sie, wie finden sie eines Tages den Geschmack an den Dingen und den Menschen wieder? Sie lassen den Anschein neu aufleben und beteiligen sich am allgemeinen Getöse, dem von Vernunft und Unterhaltung gelenkten Leben … Ich will nicht unterhalten werden. Ich will erobert werden. Ich will nicht anständig sein. Ich will, dass man sich von mir entfernt, dass man die Ansteckung flieht, ich will die Königin der Verrückten sein, die Königin der Bescheuerten, denn genau das ist die Liebe, genau das sagen sie: liebeskrank, verrückt vor Liebe, Liebe, die verschlingt, besessene Liebe. Ich will mein Unglück selbst wählen, mein Unglück heißt lieben. Ja. Ich will. Ich will die Gardinen und die Brautschleier abreißen. Ich will die Wälder durchqueren und auf dem Wasser laufen. Ich will das Lachen des Mannes sehen und ihn wie eine Schlange tanzen lassen. Ich kann alles machen, alles entscheiden, alles über mich erfahren. Ich kann mich frei erleben, mich furchtlos entdecken, ich kann mich überraschen und mich lieben und mich als Universalliebende offenbaren, es macht nichts, wenn diejenigen, die ich auswähle, es nicht wert sind, ich kann einen Toten erleuchten, die Abscheulichen verherrlichen, die Bettler aufrichten, es ist nicht schlimm, wenn man sich in der Liebe irrt, den falschen Prinzen auswählt, das Entscheidende ist, dass das Leben mit unglaublicher Geschwindigkeit davonfliegt, das Wichtige ist, dass es einem den Atem raubt, dass das Herz galoppiert, das Wesentliche ist die große Gefahr der Liebe, nicht die Engherzigkeit des Liebhabers.
    Wie recht sie gehabt hatte, den fünf Feuerlettern zu folgen, denn Paris musste sie betreten, und sie würde die Tore der Stadt mit dem Stolz derjenigen passieren, die die gefährlichste Botschaft überbringt.

 
     
     
     
    D IE NÄCHSTEN K ILOMETER sah sie nicht vorbeiziehen. Das Auto fuhr allein, ohne dass sie es wirklich lenkte, es raste dahin wie ein Pferd, das in den Stall zurückkehrt … Das hatte sie zu Patrick gesagt … Sie war ihm in ein Bergdorf gefolgt, wo er Strindberg spielte, er hatte sie am Bahnhof abgeholt, und auf dem Weg zum Hotel hüpfte sie, während sie sprach und lachte, das Gesicht strahlend vor Licht und Freude, und er, glücklich und überrascht von diesem Tanz um ihn herum auf dem Bürgersteig, hatte sie gefragt, warum sie auf dem Weg zum Hotel so herumsprang. »Ich fühle mich wie ein Pferdchen, das in den Stall zurückkehrt«, hatte sie ihm erklärt. »Ich bin so glücklich, ich kann nicht anders als rennen! Stell dir vor, mein Herz, wir haben jetzt nichts anderes vor, als uns zu lieben, uns den ganzen Tag zu lieben, bis zu deiner Vorstellung heute Abend!« Und der Tag war ein Wunder gewesen, Entschädigung für so viele gleichgültige, neutrale Tage, ihre Hochzeitsnacht, in der sie sich in den Armen, im Blick, im Verlangen des anderen entdeckten, wie sie sich niemals erfahren hatten, und es war richtig, es war gut, es war wirklich, es war wahr und harmonisch … Aber war es das nicht immer noch? Die wahre Liebe? Die große Liebe? Für wen war sie sonst bestimmt? Wer hatte je ein Anrecht darauf? Das Recht, zu sagen »Ich habe geliebt«, ohne sich zu täuschen? Die Ekstase, die Fröhlichkeit, die Lust, vor Glück zu schreien und zu explodieren in dieser Stadt am Fuß der Berge … Was war es? Was war es sonst? Diese Erfülltheit, dieser Reichtum, das ungekannte Gefühl, endlich im Zentrum seiner selbst zu sein … wie nannte man das? Wie lautet der Wortschatz, das Vokabular, um die unzugängliche, die unsichtbare Vollkommenheit auszusprechen? Und müsste man nicht ein Tetragramm erfinden, das es verbieten würde, das Wort Liebe auszusprechen, weil es ebenso unsinnig ist, an die Liebe zu glauben wie an den Himmel? Wer aber kann die Gnade erhalten? Dank welchem Privileg? Und welchen Namen
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