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Ihre Leidenschaft

Ihre Leidenschaft

Titel: Ihre Leidenschaft
Autoren: Véronique Olmi
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wollte sich lebendig fühlen im Angesicht der Lüge, dem Verrat mit ihrem Lächeln begegnen und ihren Geliebten verlassen, wie sie ihr Hotelzimmer verlassen hatte, davongehen, ohne sich umzudrehen, weil er nicht mehr Bedeutung haben würde als ein anonymer Ort, eine versunkene Nacht, er würde keine tieferen Spuren in ihrem Leben hinterlassen als eine Abendgesellschaft. Er würde sie nicht mehr verletzen, damit war Schluss. Schluss mit den Demütigungen, der zerstückelten Zeit, den seinem Ehealltag gestohlenen Nächten, mit den seinen familiären Verpflichtungen entrissenen Wochenenden, den geflüsterten Telefongesprächen in seinem getrennten Zimmer, den Briefen ohne Absender, den Geburtstagen, den mühsam ausgehandelten Festen, der Zukunft, die nur bis morgen reichte, den vagen Plänen, dem in zwei Hälften geschnittenen Leben, das Herz zerschnitten, das Herz in Tränen, damit war Schluss. Sie konnte ohne diese schwache Hoffnung leben, ohne dieses Spiel von Liebe und Zufall: auf Bequemlichkeit setzen und den Einsatz mitnehmen, aber eines Tages wendete sich das Blatt, entschlüpfte ein Lachen wie eine geheime Wahrheit, und das war der Untergang, Schluss mit der Bequemlichkeit, der Heuchelei der Ehefrau, die die Geliebte genehmigt, um selbst ihr Bett verweigern zu können, die den Verrat genehmigt, um dafür bezahlt zu werden, er soll bezahlen, jede Liebkosung für die andere, jede glückliche Heimkehr von ihr, jeden überstürzten Aufbruch zu ihr, jeden Abdruck von ihr in seinem Leben, seine neuen Vorlieben, seine plötzlichen Verrücktheiten – diese ganze heuchlerische Bürgerlichkeit der Ehefrau, Gefangene der Panik, der blanken Angst vor dem Ende des gemeinsamen Kontos, der gesellschaftlichen Anerkennung und des Alterns zu zweit.
    Hélène wollte das alles sehen.
     
    Sie war Forstwegen, Sandstraßen, asphaltierten Straßen gefolgt, und dann stand da endlich das Schild, größer als die anderen, die fünf magischen Buchstaben: PARIS , fünf Buchstaben, die Select bedeuteten und Île Saint-Louis, Arsenal und Eglise Saint Gervais, fünf Buchstaben, um die romantischste, die strahlendste zu bezeichnen, die so sehr strahlte, dass man dort keine Sterne mehr sehen konnte, nur die Leuchtspuren der Flugzeuge an ihrem Himmel, all dieser Flugzeuge, die über fünf Feuerbuchstaben hingen: PARIS 170 Kilometer.

 
     
     
     
    J E WEITER SIE FUHR , desto blasser wurde die Nacht, der Morgen öffnete sich dem ankommenden Wagen, er schluckte Kilometer um Kilometer auf der verlassenen Autobahn, die die Felder durchschnitt und deren Monotonie nur durch Tankstellen und Notrufsäulen unterbrochen wurde.
    Hélène lachte, als sie sich die Schlagzeile der Zeitung von R. vorstellte: »Autorin, Gast der Buchmesse, stiehlt das Auto eines Jägers und flüchtet«, ihr Lachen war so angespannt wie sie selbst müde, aber sie durfte angesichts dieser Umstände nicht schwach werden: Das warme, gefügige, ihr zu Füßen gelegte Auto war ein Wink des Schicksals.
    Sie hätte sich gern ein bisschen entspannt, aber sobald sie die Waffen senkte, gewann ihre Müdigkeit die Oberhand, lauerte gefährliche Erschöpfung, es wäre das Vernünftigste gewesen, anzuhalten und einen Kaffee zu trinken, aber vielleicht hatte man die Beschreibung des Autos schon weitergegeben. Sie durfte nicht anhalten und aussteigen, sie musste die Kilometer besiegen, einen nach dem anderen, sie niederkämpfen, bezwingen und zum ersten Mal zu Patrick kommen, Boulogne-Billancourt, Rue de l’Aigle, das unbekannte Haus, die Verbotene Stadt.
    Trotzdem lenkte sie, ohne zu überlegen, auf den Standstreifen, rollte ein paar Minuten, um Geschwindigkeit zu verlieren, 150, 100, 80, 60 … schaltete die Warnblinkanlage an und den Motor aus.
    Die plötzliche Stille war ein Dröhnen, Hélène kam sich vor wie unter Wasser, sie legte den Kopf an die Lehne und schloss die Augen, ihr Herz tobte in ihrer Brust wie ein letztes Notsignal, der letzte Sprint ihres erschöpften Körpers. Boulogne-Billancourt. Rue de l’Aigle. Sich hinwagen. Allen Lügen, Ausreden, Beschwichtigungen trotzen. Er sagte, sie sei verbittert und böse, er sagte, früher sei sie schön gewesen, aber jetzt … sie spüre es selbst, sie fühle sich selbst alt, erschöpft von den Schwangerschaften, verbraucht von der fehlenden Liebe, und er betrog sie ganz offen, wagte es, in ihrem Beisein allen zu verkünden, Hélène sei seine Verlobte. Er war also ebenso grausam, ebenso zynisch und gleichgültig zu ihr wie zu
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