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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen
Autoren: Friedrich Ani
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Ermittler zehn Minuten allein und stumm am Tatort verweilen, sich Notizen machen oder nur schauen; später, im Büro, verglichen sie ihre Beobachtungen und erstellten gemeinsam einen Tatortsbefundbericht.
    Manchmal mußte Polonius Fischer den Rücken krümmen, den Hut abnehmen und den Kopf einziehen, damit er unter einen Türstock paßte; der Kommissar war einen Meter zweiundneunzig groß.
    Diesmal brauchte er sich nicht zu bücken. Der Raum vor ihm war mehr als zwei Meter hoch und fensterlos, umgeben von drei Betonwänden und einem Gitter aus zwei aufklappbaren Metalltüren. Die Fläche diente als Stellplatz in einer für etwa dreihundert Fahrzeuge angelegten Tiefgarage.
    »Schick dich, P-F!« rief jemand hinter ihm.
    In der linken Ecke des Stellplatzes waren drei Autoreifen in schmutziggrauen Plastikhüllen gestapelt, daneben standen ein altes Regal und ein Schrank aus hellem, dünnem Holz, an der rechten Wand ein weißer Farbeimer, ein Besen und eine hüfthohe Steinamphore; an der linken Wand lehnten ein Paar Skier und zwei Stöcke. Ein von den Kriminalisten der Spurensicherung aufgestellter Halogenscheinwerfer erhellte jeden Zentimeter des Raums, in dessen Mitte eine unbekleidete tote Frau unter einer Kunststoffplane lag. Bis vor einer Stunde hatte sie ein grünes Sommerkleid, eine dunkelblaue Jeansjacke und Sandaletten getragen, dann hatten die Ermittler die Leiche behutsam aus dem Schrank gehoben, eine Decke ausgebreitet, die Tote auf den Boden gelegt und unter Aufsicht des Gerichtsmediziners entkleidet. Und auf dessen Augenscheinbericht warteten die Fahnder ungeduldig.
    »Kannst du bitte endlich kommen?« rief Weningstedt, der auf einem Stuhl hinter dem wackligen Campingtisch Platz genommen hatte. Liz Sinkel, Walter Gabler, Georg Ohnmus und Dr. Justus Dornkamm, der Pathologe, standen um ihn herum und redeten leise miteinander. Zwischen ihnen und Fischer hallte das Stimmengewirr der Spurensicherer durch die Tiefgarage; ständig quietschte eine der beiden Eisentüren, die zu den Treppenhäusern führten, Mieter oder sonstige Schaulustige versuchten einen Blick auf das Geschehen im gleißenden Licht zu werfen und wurden von Streifenpolizisten zurückgewiesen und gleichzeitig aufgefordert, sich für Fragen zur Verfügung zu halten.
    Nachdem Weningstedt gesehen hatte, daß der Keller zu einem Wohnkomplex gehörte, der sich aus drei ineinander übergehenden, acht bis zehnstöckigen Blocks zusammensetzte, hatte er seine komplette Mannschaft angefordert. So warteten nicht nur Sinkel, Gabler und Ohnmus auf die Aussagen des Gerichtsmediziners, sondern auch deren sechs Kollegen, die während der vergangenen halben Stunde die Wohnanlage inspiziert und erste Vernehmungen durchgeführt hatten.
    Endlich wandte Polonius Fischer den Blick vom hell erleuchteten Stellplatz ab.
    Einige der Mieter, die sich an den Wänden neben den Eisentüren und zwischen den geparkten Autos drängten, hielten im Sprechen inne und blickten zu dem großgewachsenen, breitschultrigen Polizisten, dessen Silhouette vor dem weißleuchtenden Hintergrund dunkel und wuchtig wirkte.
    Fischer trug ein schwarzes Sakko aus Schurwolle, ein ultramarinblaues Baumwollhemd mit einer karmesinroten Krawatte und eine anthrazitfarbene Stoffhose mit Bügelfalten. Seine schwarzen Haare hatte er streng nach hinten gekämmt, seine schwarzen Augen färbten sich manchmal zu Braun, und seine stark gekrümmte, kantige Nase schien – egal, aus welcher Entfernung man sie begutachtete – darauf zu lauern, einem ungebetenen Nahkömmling einen Hieb zu versetzen; dieser Zinken, darüber herrschte im Kommissariat 111 Einigkeit, verdiente den Ausdruck Adlernase nicht, es handelte sich eindeutig um eine Geiernase. Die hohen Wangenknochen verliehen Fischers schmalem Gesicht etwas Angriffslustiges. Oft, wenn er unruhig den Oberkörper bewegte und komplizierten Gedanken nachhing, entblößte er die Zähne und warf den Kopf hin und her.
    So wie jetzt. Erwartungsvoll verfolgten die Leute in der Tiefgarage seinen Gang durch die Reihen der Männer und Frauen in den weißen Schutzanzügen. Am Campingtisch angelangt, flüsterte er seinem Chef etwas zu, worauf Weningstedt nickte. Dann trat Fischer einen Schritt nach vorn, verschränkte die Hände hinter dem Rücken, hob die Schultern und ließ seinen ruhigen, keinen Widerspruch duldenden Blick schweifen.
    »Gehen Sie bitte alle wieder nach oben!« sagte er mit lauter Stimme. »Falls Sie einen Sonntagsausflug geplant haben, wären wir Ihnen
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