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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen
Autoren: Friedrich Ani
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dankbar, wenn Sie ihn ausfallen lassen könnten.«
    Streifenpolizisten zogen die schweren Eisentüren auf. Fischer bemerkte die beiden Vierzehnjährigen, die die Leiche gefunden hatten; unschlüssig standen sie abseits und schauten erwartungsvoll zu ihm. »Bleib du bei ihnen«, sagte er zu seiner Kollegin Esther Barbarov, die gemeinsam mit Oberkommissar Micha Schell die Jugendlichen vorher ausführlich befragt hatte.
    Unwillig verließen die Zuschauer die Tiefgarage.
    »Noch etwas!« rief Fischer. »Wir wären Ihnen dankbar, wenn Sie bei keinem Fernsehsender und keiner Zeitung anrufen würden. Heute abend findet sowieso eine Pressekonferenz statt.«
    Er rechnete mit maximal einer halben Stunde, bis der erste Reporter auftauchte.
    Nachdem Esther Barbarov mit den beiden Schülern die Garage verlassen hatte und die Ermittler unter sich waren, nahm Silvester Weningstedt seine Brille ab, legte die Fotos, die er vom Tisch genommen hatte, wieder hin und nickte dem Arzt zu.
    »Befinden wir uns am Haupttatort?«
    »Was vermuten Sie?«
    Wenn Dr. Justus Dornkamm anfing, Gegenfragen zu stellen, bedeutete das, er hatte entweder ausnahmsweise sehr viel Zeit oder ausnahmsweise sehr schlechte Laune. »Wir haben den Schrank, den Auffindungsort der toten Frau, wir haben den Stellplatz als Ort, wo der Schrank steht, wir haben die Tiefgarage, und wir haben diesen wohnlichen Bunker über uns.« Er sah Weningstedt an. »Nein, im Moment deutet nichts darauf hin, daß die Frau hier unten gestorben ist. Im Moment sieht es so aus, als hätten Sie eine Menge Arbeit vor sich.«
    »Mehr als Sie?« fragte Weningstedt. Wenn er sich unbeobachtet fühlte, massierte er unter dem Jackett seine linke Brustseite und atmete so geräuschlos wie möglich tief ein und aus.
    »Zur Todeszeit«, sagte Dr. Dornkamm. »Die Muskeln sind nicht mehr erregbar, auch nicht am Augenlid, das Reizgerät zeigt keine Reaktion. Somit können wir ungefähr elf Stunden überspringen.« Er schlug eine Seite seines Schreibblocks um. Die übrigen Details in diesem Abschnitt seiner Untersuchungen halfen den Kriminalisten nicht weiter, sie würden sie später auch in seinem schriftlichen Bericht nur überfliegen.
    Eine der Eisentüren quietschte. Ein Streifenpolizist streckte den Kopf herein. »Entschuldigung, da sind zwei Fotografen im Hof, was sollen wir mit denen machen?«
    »Den Zugang verwehren«, sagte Fischer. »Und bevor die Fernsehreporter auftauchen, müssen wir den Eingangsbereich sichern.«
    Das hatten sie bisher nicht getan, weil sie nicht noch mehr Nachbarn anlocken wollten.
    »Wir sollten nicht länger damit warten«, sagte Weningstedt leise.
    »Sperren Sie den Hof vor dem Eingang ab und bitten Sie zwei Ihrer Kollegen, hinter dem Haus aufzupassen!« rief Fischer, den Weningstedt noch von zu Hause aus als Sachbearbeiter eingeteilt hatte, dem Polizisten zu.
    Vielleicht war es das Bild der in einem verstaubten Schrank liegenden toten Frau gewesen, das den Ersten Kriminalhauptkommissar wie selbstverständlich an Polonius Fischer als verantwortlichen Ermittler hatte denken lassen. Obwohl zu diesem Zeitpunkt noch nicht feststand, ob es sich überhaupt um eine Straftat handelte und nicht um einen Suizid – was Weningstedt aufgrund seiner Erfahrungen mit Selbstmördern und deren oft bizarren Methoden nicht ausschloß –, war er instinktiv einer Ahnung gefolgt und hatte den Mann mit dem Fall betraut, den er für den vorurteilsfreiesten Menschen hielt, dem er je begegnet war. Falls Umstände, die Weningstedts Gesundheit betrafen, ihn eines Tages zwangen, bestimmte Maßnahmen zu ergreifen, dann würde er sich – trotz ihrer eher von respektvoller Distanz als von Kumpelhaftigkeit geprägten Freundschaft – wahrscheinlich zuerst seinem Kollegen Fischer anvertrauen und nicht seiner Ehefrau, mit der er im vergangenen Jahr Silberhochzeit gefeiert hatte.
    »Und was haben die Messungen ergeben, Herr Doktor?« Die Frage hatte Silvester Weningstedt nur gestellt, um sich zu zwingen, die Hand unter dem Sakko hervorzuziehen und wahllos eines der Fotos vom Tisch zu nehmen.
    »Sie haben gesehen, was die Frau anhatte«, sagte Dr. Dornkamm. »Und hier unten haben wir knapp fünfzehn Grad, die Leiche ist relativ zügig ausgekühlt. Nach meinen Messungen können wir zu den bestehenden elf Stunden nach Todeseintritt definitiv dreizehn dazuzählen. Stimmt was nicht?«
    Einen Moment lang wußte niemand, wen er meinte.
    Dann fragte Weningstedt: »Warum?«
    »Weil Sie das Foto so intensiv
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