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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen
Autoren: Friedrich Ani
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packte er sie, und je fester er sie packte, desto hämischer klangen ihre Geschichten über das Kind; er zerrte an ihr und schlug sie auch einmal, da warnte sie ihn mit erhobenem Zeigefinger, so etwas nie wieder zu tun.
    Sie verprügelte ihr Kind nicht. Nein. Das hatte sie ihm erzählt. Und das Kind hatte es ihm auch erzählt, als er es einmal von der Schule abgeholt und begleitet hatte; er hatte im Auto gewartet und gebetet, die Mutter möge nicht auftauchen. Das Beten hatte geholfen.
    Nein, sie schlug das Kind nicht. Sie band es fest oder sperrte es im Zimmer ein oder sprach einen Monat lang kein Wort mit ihm. Keine Wunden, keine Striemen, keine Anzeichen von Gewalt. Das ist schlau, hatte er zu ihr gesagt, und sie: Ich weiß.
    Ich weiß. Er hörte ihre Stimme, wenn er daran dachte.
    Seit Januar dachte er jeden Tag daran. Ich weiß.
    Sie wußte, was sie tat.
    Beiläufig wie jemand, der gerade einen Artikel über die Prügelstrafe in der Zeitung las, hatte er eines Abends seine Frau nach ihrer Meinung gefragt. Und sie hatte gemeint, die Kinder hätten Glück, daß sie heute lebten und nicht vor hundert Jahren; damals seien sie der reinen Willkür von Eltern und Lehrern unterworfen gewesen. Ihre eigene Mutter habe später oft davon gesprochen, wie sehr sie unter der Brutalität in der Schule, aber auch unter der ihres Vaters gelitten habe, und ihre Mutter habe sie nie verteidigt oder beschützt.
    Warum, fragte er weiter, gibt es keine Gesetzgebung, die das gewöhnliche, scheinbar normale Mißhandeln von Kindern durch Erziehungsberechtigte verbietet? Warum können Eltern, die solche Verbrechen an ihren Kindern begehen, nicht eingesperrt werden wie andere Verbrecher?
    Weil die Familie ein geschützter Raum ist, sagte seine Frau und fügte hinzu: Du darfst nicht so hart urteilen, eine Ohrfeige oder eine Maßregelung ist kein Verbrechen! Gib mir lieber Feuer!
    Und er hatte ihr Feuer gegeben, und sie hatten geraucht und waren ins Bett gegangen. Wie immer legte er den Arm um sie, bis sie eingeschlafen war, dann stand er auf, setzte sich in die Küche und feilte an seinem Plan.
    Ein paar Utensilien mußte er besorgen, ein paar Handgriffe an sich selbst ausprobieren; kurz überlegte er, ob er die Schnüre schon zu ihrem nächsten Treffen mitnehmen und probehalber in ihr Spiel einbauen sollte. Nein. Es mußte eine Überraschung sein. Er hielt inne und versuchte sich den Moment vorzustellen, wenn er vor ihr die Tür aufsperrte, sie hereinließ, die Tür von innen verriegelte, die Frau ins Wohnzimmer bat, ihr aus der Jacke half und dann ihren Kopf packte. Und dann. Und dann käme es darauf an, den Plan exakt und sorgfältig auszuführen, bis zum Ende. Was wäre das Ende?
    Und da kam – das sah er in einem fast undurchdringlichen, aber betörenden Nebel vor sich – eine Gestalt auf ihn zu, mittelgroß und entschlossenen Schrittes, die Schultern hochgezogen, unbeirrt. Er konnte das Gesicht nicht erkennen, er starrte auf die wabernde Wand. Doch das Gesicht blieb im Nebel verschwommen, und er wußte: So endet mein Plan, so könnte er enden.
    Der da kam, mit kaltem Atem und nach innen gewandtem Blick, das war er selbst, er, der eine Schwelle überschritten hatte, die zu betreten er sich niemals zugetraut hätte. Nun ging er sogar darüber hinaus; und ging weiter; und bereute nichts, bedauerte vielmehr sein langes Zögern; wußte jetzt und mußte fast darüber lachen, was es hieß, das Leben in die eigenen Hände zu nehmen. Da lag es: das vollkommene Leben in seinen Händen.
    An diesem Höhengrad seiner Vorstellung erfaßte ihn jedesmal ein Schrecken, dem er nicht gewachsen war. Und er scheuchte die Bilder aus sich heraus, indem er augenblicklich das Dampfbad verließ, gegen jede Gewohnheit mit eiskaltem Wasser duschte und anschließend im Café nebenan einen doppelten braunen Tequila trank.
    Das Ende würde dem Kind gehören, ihm allein, für alle Zukunft. Nie mehr würde das Kind in das Verlies seiner Mutter zurückkehren müssen. Er würde es begleiten, wenigstens ein Stück zu Beginn der neuen Zeit, er würde es abholen und an einen erlösenden Ort bringen.
    Als er die Frau anrief und ihr den neuen Treffpunkt vorschlug, sagte sie sofort ja.
    2
 
Die Sonne, der See, alle Zeit
    V om Fenster im Treppenhaus blickten sie hinunter auf ein Dach aus Regenschirmen. Im Hintergrund versperrten die Kastenwagen der Fernsehsender die Straße, Fotografen und Kameraleute bildeten die erste Reihe vor der Absperrung, gierig auf Bilder der
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