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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen
Autoren: Friedrich Ani
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anschauen. Zu den äußerlichen Auffälligkeiten komme ich sofort.«
    »Natürlich«, sagte Weningstedt, legte das Foto hin und bat den Arzt mit einer Geste fortzufahren. Als er Fischers Blick bemerkte, senkte er wie schuldbewußt den Kopf. Fischer verzog den Mund und wiegte den Kopf, was den Pathologen irritierte; aber er kannte Fischers Eigenarten und widmete sich wieder seinem Block.
    »Die Totenstarre«, begann Dr. Dornkamm, »hat bereits begonnen, sich zu lösen, wir hatten wenig Schwierigkeiten, die Frau aus dem Schrank zu hieven. Ohne mich festlegen zu wollen und zu können, addiere ich, unter uns und ohne Zeugen, zu den vierundzwanzig Stunden zwölf hinzu. Drucktests bestätigen meine Vermutung, die Totenflecke verblassen komplett. Wir bewegen uns also in einem Zeitraum von mehr als dreißig bis fünfunddreißig Stunden nach Todeseintritt.«
    »Und die Frau ist nicht hier unten gestorben«, sagte Liz Sinkel. Die Oberkommissarin war mit zweiunddreißig Jahren die Jüngste in der Abteilung.
    »Sieht nicht danach aus«, sagte Dr. Dornkamm.
    »Das hat weniger mit dem zu tun, was ich gerade erklärt hab. Übrigens wurde die Frau, da kann ich mich schon jetzt festlegen, nach ihrem Tod bewegt, und zwar nicht erst von uns.«
    »Vom Täter«, sagte Liz. »Er hat sie transportiert. Wir sind also nicht am Haupttatort.« Sie sah ihren Chef an, der den Kopf gesenkt hielt und seltsam schief auf dem Klappstuhl saß.
    »Vergessen Sie nicht«, sagte Dr. Dornkamm, »wir sind spät dran, wir haben die ersten zwölf Stunden, in denen wir mit den zuverlässigsten Untersuchungsergebnissen rechnen können, weit überschritten. Trotzdem: Bis auf drei bis fünf Stunden plus-minus müßten wir es immer noch schaffen. Die Frau ist, das haben Sie vorhin selber sehen können, stranguliert worden. Ob sie bei Bewußtsein war, kann ich noch nicht sagen. Eine Selbsttötung schließen wir jetzt erst mal, unter uns und ohne Zeugen, aus. Im Schrank hat sie sich nicht erhängt, das ist beweisbar. Und was auch beweisbar ist, schon jetzt: Sie hat auf jeden Fall gelebt, als sie stranguliert wurde. Es gibt Blutspuren am Ohr, das können Sie auf den Fotos erkennen, es gibt Unterblutungen in den Augen, in der Haut, vielleicht finden wir auch noch Speichel oder Tränenreste, die Strangmarke im Nacken ist unübersehbar. Und auch wenn Ihre Kollegen das Strangwerkzeug noch nicht gefunden haben: Meinem ersten Eindruck nach müßte es ein einfaches Seil sein, eine Kordel, ein Haushaltsgegenstand, zweifach um den Hals gewunden. Außerdem, wie Sie gesehen haben, wurde die Frau an den Händen gefesselt, offensichtlich nur an den Händen, nicht an den Füßen.«
    »Könnte es sein, daß die Frau erdrosselt wurde?« fragte Liz Sinkel. Wie schon oft wunderte sie sich über die Stummheit ihrer Kollegen; auch wenn ihr Weningstedt bei ihrem ersten Fall im Kommissariat 111 eingeschärft hatte, es sei unnötig, zeitverzögernd und altklug, einen Gerichtsmediziner zu unterbrechen, bestand sie auf ihrem Fragerecht als aktive Ermittlerin.
    »Nein«, sagte Dr. Dornkamm und blätterte in seinem Block. »Ihr Gesicht ist nicht aufgedunsen, keine spezifischen Verfärbungen, keine Würgemale, die Blutungen in den Augen sind nicht so zu deuten. Auch keine Anzeichen von Faustschlägen und anderen harten Schlägen. Nein, die Frau starb durch Erhängen, und wenn wir die Mikrofasern an den Händen ausgewertet haben, lichtet sich weiterer Nebel.«
    »In der Tiefgarage ist sie nicht erhängt worden«, sagte Liz. »Das steht also fest.«
    »Natürlich«, sagte Weningstedt, hob den Kopf und warf seiner Kollegin einen Blick zu, den zu deuten sie sich weigerte. »Ist da ein Haken an der Decke, gibt es Reste von abgebröckeltem Verputz irgendwo? Sie ist hierhergebracht worden. Wie spät ist es?«
    Liz sah auf ihre Uhr, sagte aber nichts.
    »Vierzehn Uhr siebenundzwanzig«, sagte Hauptkommissar Neidhard Moll, der direkt neben dem Arzt stand.
    »Dann wurde sie irgendwann Freitag nacht hier abgelegt.«
    Sekunden vergingen in Schweigen. Die Schutzanzüge der Spurensicherer raschelten, dann verstummte auch dieses Geräusch. Alle Bewegungen waren zum Stillstand gekommen.
    Der Gerichtsarzt sah hinüber zum hell erleuchteten Raum mit der Plane in der Mitte und dem Schrank mit den geöffneten Türen und dachte, daß der Antikmarkt auf dem Nockherberg seit zweieinhalb Stunden ohne ihn stattfand.
    »Nudis verbis«, sagte er, »die Frau wurde gefesselt, aufgehängt, abgehängt, weggebracht und in
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