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Idylle der Hyänen

Idylle der Hyänen

Titel: Idylle der Hyänen
Autoren: Friedrich Ani
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einem Schrank deponiert. Und wenn ich mich bei den Verletzungen an den unteren Schienbeinen nicht täusche, dann sind das Anschlagspuren; die Frau hat mit den Beinen während ihres Sterbens um sich geschlagen, gegen einen Schrank, einen Tisch, etwas Kantiges. Das dürfte vor ungefähr sechsunddreißig Stunden passiert, aber nicht länger als achtundvierzig Stunden her sein.«
    »Danke«, sagte Weningstedt, in Gedanken versunken.
    Nach einer Weile, während alle, wie auf einen gemeinsamen Impuls hin, zum erleuchteten Stellplatz blickten, sagte Polonius Fischer:
    »Warum im Schrank?«
    »Um sie zu verstecken«, sagte Liz. Die Schnelligkeit ihrer Bemerkung überraschte sie selbst. Aber was sollte ihr dieser Nebentatort sonst erzählen?
    »Ja«, sagte Fischer. »Aber warum in einem Schrank? Warum nicht im Wald, oder sonstwo?«
    »Vielleicht war ihm der Weg dahin zu weit, zu riskant«, sagte Gabler, der älteste Kommissar in der Abteilung.
    »Gehen wir von einem oder von mehreren Tätern aus?« fragte Hauptkommissar Ohnmus.
    »Auf Wiedersehen zusammen«, sagte Dr. Justus Dornkamm.
    Weningstedt erhob sich und streckte den Arm aus. Die Hand des Pathologen kam ihm noch kälter vor als seine eigene.
    Kompliziert gestaltete sich anfangs die Sache mit dem Kind. Und wegen des Kindes nahm er doch alles auf sich, die Geheimniskrämerei, die Ungewißheit, ob sein Plan, die Frau in die Wohnung zu locken, überhaupt funktionierte. Wohnung oder Absteige, dachte er, dürfte für sie keinen Unterschied machen. Außerdem kannte sie ihn. Sie schlief mit ihm, sie war es gewesen, die ihn in eine Pension mitgenommen hatte, weil sie sich nicht zu Hause treffen konnten, nicht bei ihr wegen des Kindes, nicht bei ihm wegen seiner Frau. Nun würde er ihr mitteilen, er habe ein neues Liebesnest für sie entdeckt, unweit ihrer Wohnungen und doch anonym. Sie müßten nicht länger bis ans andere Ende der Stadt in ein heruntergekommenes Hotel fahren, in dem die meisten Zimmer stundenweise vermietet wurden und ein unangenehmer Geruch durch die Flure zog. Und er würde ihr die Wahrheit sagen: daß die Wohnung einem Freund gehöre, der die meiste Zeit des Jahres verreist sei; niemand würde etwas merken, in dem Block lebten Hunderte Mieter, die wenigsten kannten einander. Da kannst du verrecken, und niemand spannt was! hatte sein Freund einmal zu ihm gesagt und ihn ermuntert, so viele Frauen, wie er nur schaffte, mitzubringen und die Bude wackeln zu lassen. Gut, daß sein Freund nicht die mindeste Ahnung hatte, worum es wirklich ging.
    Das Kind.
    Zuerst hatte er überlegt, sich nur mit der Frau zu beschäftigen; sie allein trug die Schuld. Und obwohl das Ausmaß dieser Schuld eine Möglichkeit der Reue im Grunde ausschloß, wollte er, gemäß seiner Christenpflicht, eine um Vergebung flehende Verbrecherin nicht verdammen, sondern sie anhören und eine angemessene Strafe verhängen.
    Er mußte das Kind befreien. Es reichte nicht, die Frau zu bestrafen; er durfte deren Opfer nicht sich selbst überlassen. Wer ein siebenjähriges Kind so behandelte wie die Frau, und zwar seit Jahren, unbehelligt am hellichten Tag vor den Augen der Leute, ungeniert und ohne eine Spur von Bedenken, der mußte zur Rechenschaft gezogen werden.
    Mit ihr zu schlafen war einfach gewesen. Es fiel ihm leicht, in sie einzudringen und Lust zu empfinden, sogar mehrmals hintereinander. Die Frau war fast vierzig Jahre jünger als seine Ehefrau, sie streckte sich ihm entgegen, und was er mit ihr anstellen wollte, erlaubte sie ihm. Das war das.
    Und das war vorbei. Schon seit Beginn des Jahres. Sie hatte nichts bemerkt und glaubte immer noch, er käme zu ihr, weil er sie begehrte und seine alte Frau nicht mehr ertrug. Daß er ihr, im Größenwahn des Anfangs, von seiner Frau und ihren inneren Gewohnheiten erzählt hatte, verzieh er sich bis heute nicht; sie hatte ihn ausgehorcht und dabei mit ihren Fingern an ihm herumgeknetet, und deshalb hatte er für Sekunden seine Frau verraten. Auch dafür würde sie um Vergebung bitten müssen, die Kindesschänderin.
    Seit Januar hatte er die Begegnungen mit ihr nur noch absolviert. Etwas wesentlich Bedeutenderes als seine sexuelle Befriedigung trieb ihn zu ihr, ließ ihn ausharren und die Worte aussprechen, die sie hören wollte, damit sie in Ekstase geriet. Seine Fragen nach dem Kind beantwortete sie arglos. Er gab ihr recht, wenn sie ihre Erziehungsmethoden schilderte, er feuerte sie an, aufrichtig zu sein, und sie redete drauf los. Dann
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