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Idealisten der Hölle

Idealisten der Hölle

Titel: Idealisten der Hölle
Autoren: M. John Harrison
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die Brust gedrückt. Nach einem schwierigen Kletterstück über die steckengebliebenen Wracks fiel er zurück. Als Wendover zurückblickte, konnte er nichts weiter sehen als einen dunklen runden Kopf, der losgelöst über dem weißen Nebel hüpfte.
     
    *
     
    Morag: Am Nachmittag hatte Schwester Dooley sie in ein weites graues Filzkleid und kratzende Wollunterhosen dirigiert. Es sei schicklich, erklärte sie, und eine Buße. Harpers hartnäckiger Widerstand war zusammengebrochen, als sie Drohungen gegen das Kind ausgesprochen hatte. Nun, aus der Hütte, in der sie den ganzen Nachmittag eingeschlossen verbracht hatten, in ein Steinhaus geführt, war Morag unfähig, eine Beziehung herzustellen.
    Es war zugig, hoch gebaut und von Kerzen aus Tierfett, die tropften und stanken, schwach beleuchtet. Die Kirchenbänke hatten in irgendeinem strengen Januar als Feuerholz gedient. Das Ostfenster war ein bogenförmiges Loch, eingerahmt von scharfkantigen bunten Glasscherben. Die Dorfbewohner hatten sich in Reihen aufgestellt und hielten ihre Hüte in den Händen. Unter dem leeren Fenster stand Schwester Dooley, neben ihr Meadows mit einem langen Messer.
    Wenigstens waren Arm und der alte Mann davongekommen.
    Bald würde sie an der Reihe sein. Es war ihr gelungen, das Kind ruhigzuhalten, aber früher oder später würde ihm etwas geschehen, und sie würde es nie wiedersehen. Sie drückte es fest an sich und betrachtete die dicken Säulen, die die Decke stützten, sah Dorfbewohner durch das Schiff zwischen ihnen schlurfen. Sie defilierten in geordneter Reihenfolge an Schwester Dooley vorüber und reihten sich wieder ein, wenn sie mit ihnen fertig war.
    Bald würde sie an der Reihe sein. Jeder bekam einen kleinen Würfel rohen Fleisches und einen Schluck aus Schwester Dooleys Becher. Es hatte ein paar Gesänge gegeben. Der tote Mutant lag auf der Seite, seine Innereien lagen frei. Sie hatten die beiden anderen in einem Außenhaus angebunden, weil sie nur einen für jede Feierlichkeit benötigten. Das Essen und Trinken, das Schwester Dooley später zu erklären ihr versprochen hatte, vollzog sich schweigend.
    Sie blickte auf Harper hinunter, der, in ein inhaltsloses Häufchen zusammengekrümmt, am Boden lag.
    Bald, nachdem die Versammlung begonnen hatte und Meadows mit dem Mutanten fertig war, hatte er den größten Teil des Mittagessens herausgewürgt und versucht, die Nonne anzufallen. Er wimmerte vor Schmerzen und Enttäuschung. Sie wollte ihn gerne berühren, aber eine starke Frau drängte sich an ihre Schulter. Es war seltsam, daß sie keine Hinweis auf die Wahre Liebe in den Büchern gefunden hatte, die er mochte.
    Bald würde sie auch einen Schluck nehmen müssen.
    An der Rückseite des Hauses öffnete jemand die Tür, der Zug wurde stärker. Sie wußte, sie würde ohnmächtig werden oder sich übergeben.

 
XII
DIE FEIERLICHKEITEN
     
    Der Stiefel hatte ihn genau über den Genitalien getroffen. Er bemühte sich sehr, sich gegen den Krampf im Unterbauch zu straffen.
    Eine dumpfe, unerträgliche Wut verminderte seinen Schmerz. Wo waren Arm und Wendover jetzt mit ihren praktischen Gewehren? Er zitterte vor Erregung. Könnte er ihr Gesicht unter dem Schleier zusammenbrechen sehen, mit zerschmettertem Kinn, Speichel und Blut. Auf diese Weise heizte er sein eigenes Gemüt an, nicht ahnend, daß er in einen allgemeinen Kreislauf geboren war, daß er nur das Abschlachten des Mutanten wiedergab. Er brachte sich auf ein Knie hoch, indem er seinen Kopf mit Obszönitäten anfüllte.
    Aufrecht an die Wand gelehnt, Handflächen fest an dem groben, feuchten Stein. Augenblicklich stand ein Dörfler vor ihm, Augen ausdruckslos, die Stange eine Drohung.
    Morag sah aus wie eine Bäuerin in ihren bäuerlichen Kleidern. Ihre Gelassenheit war ein schwacher Abwehrmechanismus. Er konnte nichts für sie tun. Eine Woge des Abscheus vor sich selbst und allen anderen schlug über ihm zusammen. Die Welt war psychotisch und schmeckte nach Galle. Noch neun oder zehn Kommunikanten warteten auf ihre Abfertigung unter dem Fenster, und in dem düsteren, hohlen Licht wirkten ihre Züge verklärt.
    Das zu verstehen, fiel ihm am schwersten: Es mochte einfach sein, durch Roheit Ekstase zu empfinden – den gleichen Zustand aus der Rationalisierung der eigenen Roheit abzuleiten, war etwas anderes. Er nahm an, daß Holloway Pauce etwas Ähnliches empfunden haben mußte.
    Kerzenrauch hatte sich unter dem Dach zu einer dunklen Wolke zusammengeballt. Als die
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