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Idealisten der Hölle

Idealisten der Hölle

Titel: Idealisten der Hölle
Autoren: M. John Harrison
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Westtür geöffnet wurde, wurde sie vom Luftzug zerrissen und zerstreut. Die Kerzen flackerten, verschoben die Wahrnehmung des Schiffes, verzerrten hier den Winkel einer Schulter, dort die Haltung eines Kopfes.
    Schwester Dooley hob den Becher, senkte ihn, hob ihn, senkte ihn und blickte nach unruhigen Schatten, die auf den Wölbungen und Fenstern des Querschiffs spielten.
    Ein Flattern wurde im vorderen Teil vernehmbar. Ein Windstoß erfaßte die Tür und schlug sie gegen ihren Rahmen, wo sie auf- und zuknallte und ein graues Trapez von Mondlicht abwechselnd zusammenpreßte und ausdehnte. Die Schatten hüpften und verrenkten ihre Glieder.
    Morag hatte sich der Reihe von Kommunikanten angeschlossen.
    Ein kleines, zischendes Objekt beschrieb einen schnellen flachen Bogen über den Köpfen der Versammlung und landete mit leisem Schnattern vor der Nonne. Meadows machte einen Schritt darauf zu. Schwester Dooley ließ den Becher fallen, eine klebrige Flüssigkeit ergoß sich über die Brust des Kommunikanten. Das Gefäß drehte sich melodisch auf dem Steinboden.
    Schwester Dooley wandte den Beiwohnern der Feierlichkeiten den Rücken zu und griff nach einem Gegenstand.
    Meadows wurde im selben Augenblick geblendet wie Harper, als das Geschoß aufflammte zu einer Kugel harten Lichts.
    Schritte hallten das Schiff hinunter.
    Eine rauhe, hohle Stimme rief: »Harper! Harper! Harper! Harper!«
    Sie konnte in seinem eigenen Kopf existieren.
    Schwester Dooleys Schrotflinte dröhnte, der Widerhall tobte um die Säulen. Jemand schrie. Harpers erster Versuch, sich zu rühren, schmetterte seine Wange gegen die Mauer, die hinter einem bebenden Purpurschleier verborgen lag. Eine Hand legte sich auf seinen Arm. Er holte aus, traf die Mauer.
    »Ruhig«, sagte Arm.
    Aus dem Hintergrund des Raumes begann eine Automatik zu feuern, ihr schnelles Rattern klang hell und bösartig.
    »Morag!« schrie der geblendete Harper auf und zerrte hilflos an dem Zwerg.
    Arm zog ihn vorwärts. Seine Sicht kehrte wieder, aber alles war verkehrt und gefärbt und an den Rändern verschwommen. Morag lief schwerfällig vor ihnen her.
    Ihm widerfuhr eine Vision von Wendover – den er zu erkennen geglaubt hatte – als schwachsinnigem, eingesunkenem alten Mann, dessen Lippen feucht und schwarz gesprungen waren, die Augen ganz Gelb und Schwarz, und der in eine Masse von Körpern hineinschoß und schoß. »Wir sind alle Tiere, Arm.« Leere Patronenhülsen spuckten über die Schultern des alten Mannes, sein verfallener Körper stemmte sich gegen den Rückschlag der Waffe. »Laufen Sie trotzdem, verdammt!«
    Dörfler rannten inmitten des Maschinengewehrfeuers schreiend durcheinander, sie preßten die Hände auf die Augenhöhlen, konnten aber nicht entkommen. Blut aus einem zerschmetterten Schädel beschrieb einen Bogen in der Luft, wurde kurz zu unglaublicher Höhe gepumpt. »Schweine!« brüllte der alte Mann. »Schweine!«
    Würgend und nach Luft schnappend schaffte es Harper bis zur Tür.
    Arm stieß ihn heftig in die kalte Nacht hinaus, und er fiel, zitternd vor Entsetzen und Abscheu, zwischen alten Gräben ins Gras. Morag kam und drängte ihren langen Körper an seinen, klammerte sich mit Armen und Beinen an ihm fest. Er hielt sie fest und strich mit den Händen über ihr wundervolles, schmutziges Gesicht.
     
    *
     
    Wendover zog sich aus der Kirche zurück und ließ die leergeschossene Maschinenpistole fallen. Sein Gesicht war verschmiert und verzerrt, seine Hände zitterten. Harper schob das Mädchen sanft beiseite und setzte sich auf.
    »Doktor?« rief er leise.
    Wendover hörte ihn nicht.
    In dem Gebäude schrie Schwester Dooley auf ihre Versammlung ein. Arm trat zu dem Arzt und sagte: »Kommen Sie. Harper kann jetzt mitlaufen.«
    Wendover blickte unsicher um sich.
    Er schüttelte den Kopf.
    »Wo ist das andere Ding? Wir sind noch nicht fertig. Du hast nur das Magnesium gebraucht«, flüsterte er. Er sah schmerzerfüllt und betäubt aus.
    »Das ist nicht notwendig, Doktor.« Arm nahm seinen Ellbogen, als wolle er ihn wachrütteln. »Wir haben genügend Zeit, wenn wir jetzt gehen. Kommen Sie.«
    »Nein!« bellte Wendover plötzlich. Er entfernte sich von dem Zwerg, wedelte mit den Händen und fuhr sich über den kahlen Schädel.
    »Es gibt jetzt andere Dinge zu bedenken. Wir können nicht gehen, ohne … Dort drinnen …« Er schlug die Hände vors Gesicht. »Ich will das andere Ding haben«, stieß er zwischen den Fingern hervor. Er ließ die Hände sinken,
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