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Idealisten der Hölle

Idealisten der Hölle

Titel: Idealisten der Hölle
Autoren: M. John Harrison
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Wendover: »Gib es mir«, und er glaubte, sie mit einer, wie er immer vorausgesetzt hatte, schmerzlichen Entscheidung zu konfrontieren. Aber die Sorge schien unberechtigt: Sie legte es fast abwesend in seine Arme, den Blick immer noch auf die reglose alte Frau gerichtet. Und er stellte fest, daß seine eigene Stimme mißmutig und ungeduldig geworden war. Vielleicht, dachte er, beginnt es jetzt noch, mich zu berühren.
    »Geht langsam vorwärts«, befahl er ihnen. »Und haltet die Augen offen. Wir haben keinen Grund anzunehmen, daß sie uns besonders mögen.« Er war ein Experte des Mißtrauens geworden, und es setzte ihn in seinen eigenen Augen herab.
    Es war ein langer Weg.
    Der Ginster bekam Finger und riß an seinem Regenmantel. Er stolperte über Kaninchenlöcher und Metallstücke, die bei vergangenen Zusammenstößen von der Straße herübergeschleudert worden waren. Er bemerkte, daß Harper mit denselben Schwierigkeiten zu kämpfen hatte – und Arm wand sich wie ein schlechtgelaunter Kobold: Sein Kopf überragte die Büsche kaum, und sein rundes Gesicht, das rot war vor Anstrengung vom Ringen mit den Stacheln, die an seinen Lumpen zerrten, verschwand gelegentlich vollständig.
    »Das ist ein Zirkus«, keuchte Harper, obwohl er nie einen gesehen hatte.
    Er hatte seinen Arm besitzergreifend um das Mädchen gelegt und half ihr voran. Er hatte einen Rivalen verloren und war in gehobener Stimmung, aber Wendover spürte, als Folge der Erschöpfung, nur Nadeln in der Brust.
    Sie schienen nur sehr langsam an Boden zu gewinnen. Das Kind brach in Klagen aus und machte sich naß.
    Die alte Frau fuhr fort, sie ruhig zu beobachten; das Pony kaute einfältig und träge an einem Büschel Ginster; der Regen peitschte boshaft über die düstere Landschaft.
    Wind kam auf und spielte eine eigentümliche Harmonie.
    Als er stehenblieb, um den Mantel aufzubinden und das Kind in eine bequemere Lage unter seinen Arm zu ziehen, stellte Wendover fest, daß es gar nicht der Wind war.
    Aus dem rostzerfressenen Norden der Autobahn schoß, wie ein großes, wahnsinniges Insekt, ein rotes Turbinenauto. Es fuhr weit über neunzig. Gangwechsel hallten von den schweigenden Wracks zurück.
    Mit einem schweren Aufbau mit Doppelkabine getakelt, der die südliche Fahrspur blockierte, und mit seinen Haifischflossen näherte es sich dem Mittelstreifen, schlingerte über das Hindernis, beschleunigte wild und verringerte dann die Geschwindigkeit ebenso plötzlich. Wendover warf den anderen einen Blick zu. Sie sahen schweigend zu, wie das Fahrzeug näherkam.
    Es erreichte ihre Feuerstelle, rollte darüber und zerstreute die Glut. Dann kam es mit kreischenden Bremsen zum Stehen.
    Es war ein großes, beeindruckendes, auffälliges Fahrzeug, einer von den alten Lewis/Phoenix Sunbirds. Rostflecke überzogen die ganze Länge seines leuchtenden Rumpfes wie Klauenspuren von einer Stahlbestie. Seine Zellulose schlug Blasen, die Chromstoßstange war so krumm gestoßen wie das Lächeln auf dem Gesicht der Nutte. Die hinteren Luftkanäle seiner Turbine tickten und zogen sich zusammen. Eine Hitzehaube flimmerte über seinem Dach. Ein Fenster auf der ihnen zugewandten Seite wurde heftig aufgerissen.
    »Ich habe Sie gefunden, Wendover!« rief Holloway Ableson Pauce, als wäre alles ein verwirrendes, aber lustiges Versteckspiel.

 
XIV
DAS ZIEL IST EIN BEWUSSTSEINSSTAND
     
    »Wohlgemerkt«, fuhr er fort, indem er seinen massigen Schädel aus dem Fenster lehnte und ihnen mit knotigem Zeigefinger zuwedelte, »es war nicht leicht, und ich rechne Ihnen das als Verdienst an. Die ganze Zeit in dieser verfluchten Stadt herumzustöbern …« Er zog den Kopf unvermittelt zurück (sein Heiligenschein aus seidigem Haar war noch immer glänzend und sauber) und kurbelte das Fenster hoch. Er spielte einen Augenblick mit dem Türgriff, sein Gesicht ein rehbrauner Schatten hinter der schmutzigen Scheibe, dann schlug die Tür auf, und er ließ sich hinausgleiten.
    Der Anzug aus Goldlame war matt und fleckig und am Schenkel zerfetzt. Darunter konnte man schmutzige Bandagen erkennen. Anstelle von Knöpfen trug er jetzt den Gürtel und das Halfter über der Jacke. Sein Make-up war verschwunden – seine Züge schienen ineinandergelaufen wie Wasserfarben, die man zu naß auf dünnes Papier aufgetragen hat. Schmutzklümpchen hatten sich in den Rissen auf seinen Wangen festgesetzt. Er hatte seit Zinnhaus beträchtlich an Gewicht verloren und bewegte sich ruckartig wie ein Insekt.
    Er
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