Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Idealisten der Hölle

Idealisten der Hölle

Titel: Idealisten der Hölle
Autoren: M. John Harrison
Vom Netzwerk:
in einer sehr langen Zeit dreht. Bilder der verlassenen Fabrik vermischten sich mit dem Gesicht eines Menschen, den er vergessen hatte, und der unbewegten Reihe von Nichtmenschen. Beton, Fleisch, Fleisch. Der Regen rauschte. Die Motorhaube klapperte.
    Arm versperrte ihm den Weg, als er blind die Richtung einschlug zu dem Platz, an dem Harper verkrümmt mit der furchtbaren Waffe lag.
    Unsinnige Worte marschierten im Takt durch seinen Schädel. Was jeder Wiebel weiß. L IS HO NIX IN. Er blickte forschend in das traurige Gesicht des Zwergen und fragte: »Arm, hast du gesehen, für welchen von den beiden sie es getan hat?« Dann setzte er sich und erbrach sich von neuem, lange Krämpfe, die nichts dazu beitrugen, die innere Leere zu erlösen.
    »Das Kind«, sagte Arm nach einer Weile, aber das war keine Antwort auf die Frage.
    Während des kurzen Sturms der Ereignisse war die Mutantenfrau still geblieben, hatte leidenschaftslos zugesehen und das Pony beruhigt, wenn es beim Gewehrfeuer gescheut hatte. Möglicherweise hatte es mehr verstanden als sie.
    Nun trieb sie es voran. An Morags Leichnam senkte es den Kopf. Es trat vorsichtig zur Seite, rollte mit den Augen, und das verkümmerte Horn und die Tränenfurchen, die das Fell unter seinen Augen dunkel färbten, verliehen ihm einen grotesken Ausdruck der Verwunderung.
    Die Frau betrachtete Arm und Wendover mit eigenartig geneigtem Kopf.
    Mit einer schnellen, genauen Bewegung ließ sie sich vom Rücken des Tieres gleiten und klaubte das Kind aus dem Ginster. Wieder aufgerichtet, legte sie es unsanft auf den Widerrist des Ponys und hielt den Blick weiter auf sie gerichtet. Als es wimmerte, versetzte sie ihm einen leichten, aber bestimmten Hieb.
    Wendover richtete sich auf, indem er Arms Schulter als Krücke benutzte. Sein Blick traf ihre fremdartigen Augen.
    »Bring das verdammte Ding weg«, sagte er schwer. »Bring es weg.«
    Das Pony drehte sich um und schritt vorsichtig auf das Nadelgehölz zu.
    Wendover machte noch einen Versuch, Harper anzusehen, aber der Zwerg lenkte ihn vorsichtig fort.
    »Sie können ihnen nicht helfen, Doktor.«
    »Nein, ich habe meine Tasche verloren.«
    Arm führte ihn zu dem roten Turbinenauto. Er übersah taktvoll die Tränen, die über das senile Gesicht strömten.
     
    *
     
    Vom Rande der Pflanzung aus beobachtete sie, wie das Fahrzeug aufwinselnd zum Leben erwachte und über den Mittelstreifen preschte. Als es im Norden verschwunden war, winkte sie dem Stamm. Sie trieb das magere Pony durch den Ginster an den Leichen der Glatten vorüber. Der Stamm folgte ihr, den zusammengebrochenen Massen ausweichend, über die Straße. Vor dem unverständlichen Hinweisschild hielt sie an, zog die Knie hoch und legte das Kind auf ihren Schoß. Eine Zeitlang betrachteten alle das Schild. Es hörte auf, zu regnen.

 
EPILOG
     
    Nick Bruton, ein Geist der Verwüstung, wanderte in einem unbequemen Paar neuer Stiefel, die er unter merkwürdigen Umständen bekommen hatte, auf einer nordwärts führenden Straße entlang. Seinem Gefühl nach zu urteilen, argwöhnte er, daß er im letzten Dorf auch einen Tripper aufgelesen hatte.
    Der Wind blies ihm in das bleiche Gesicht und wehte seine flaschengrüne Jacke auf; seine wunderschönen Hosen klebten an den Beinen, und seine Spitzen waren feucht.
    In den Dörfern liebten sie seine Spitze und seine ungewöhnliche Art, und obgleich er ihnen ihre Antworten nicht gab, beklagte er sich nie über die Dinge, die sie ihm schenkten. Sein Fußgelenk schmerzte ein wenig. Er pfiff eine kleine Melodie und fuhr mit den Händen durch sein glänzendes Haar, um zu prüfen, ob es trocken war. Er hoffte, daß es eine Zeitlang nicht mehr regnen würde.
    »Ich bin ein Kind der Straße«, sang er, »verleugnet daher meinen Namen nicht.«
    Seine absonderlichen Chromosomen taugten noch für ein paar weitere Jahre, und es gab viel zu sehen. Sein Ziel war ein Bewußtseinsstand.
    Es geschah nicht allzu oft, daß er einen Wagen auf der Straße hörte. Dieser hier war rot. Er blieb stehen und sah zu, wie er eine freie, abschüssige Strecke nahm. Er näherte sich sehr schnell und schaukelte auf seiner Federung. Es war ein Glück für ihn, daß er, bevor er an seiner gegenwärtigen Position vorüberkam, durch ein Schlachtfeld von Wracks auf eine beträchtlich niedrigere Geschwindigkeit hinuntergezwungen sein würde. Er trat auf die Straße, streckte seinen Arm aus und hielt seinen langen kräftigen Daumen hoch.
     
    ENDE
Vom Netzwerk:

Weitere Kostenlose Bücher