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Ich zog mit Hannibal

Ich zog mit Hannibal

Titel: Ich zog mit Hannibal
Autoren: Hans Baumann
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Er breitete für michein Fell auf die Erde. Ich schlief ein, kaum dass ich mich darauf gelegt hatte. Es war ungefähr Mittag, als ich einschlief. Ich weiß nicht, wie lange ich schlief, den Tag und die Nacht oder auch zwei Tage und Nächte. Ich erwachte davon, dass ich fror. Offenbar hatte ich mich in Träumen gewälzt und mich dabei abgedeckt; ich hatte wohl auch geschrien, denn Karthalo tastete nach mir und deckte mich wieder zu. Ich blieb wach und hörte, dass er sofort wieder einschlief.
    Da schob ich lautlos die Decke fort, kroch auf ihr bis zum Schlitz, durch den ich Sterne sah, und schlüpfte hinaus in die Nacht. Ich suchte herauszubekommen, wo Suru sein könnte. Als sich meine Augen an die Nacht gewöhnt hatten, erkannte ich die Elefanten. Sie standen wie Hügel nebeneinander und einer schien mir höher als alle anderen. Ich wollte schon hingehen, da fiel mir die Kette ein, mit der Karthalo Suru angepflockt hatte. Zwischen den Zelten fand ich den Weg, der aus dem Lager führte. Ich traf keine Wachen. Es waren keine Posten aufgestellt   – wozu auch, es gab keinen Feind mehr.
    Als ich das Lager hinter mir hatte, war ich einen Augenblick im Zweifel, wo Sagunt lag. Unter zwei Sternen, die über dem Horizont funkelten, war das Dunkel gehäuft. Darauf ging ich zu. Ich irrte in den Trümmern umher, von denen manche noch rauchten. Es fing an zu dämmern, als ich die Stelle fand, an der unser Haus zu einem Schuttberg geworden war. Dort begann ich zu warten. Ich wartete auf meinen Vater, auf meine Mutter, auf meinen Bruder. Ich wollte warten, bis einer kam oder bis ich tot war.
    Es wurde hell, ich fing an zu frieren. Die Sonne gingauf, so blass, als hätte sie sich verblutet. Ich sah ihr zu und es setzte mich in Erstaunen, dass sie die Kraft hatte, in den Himmel zu steigen. Als sie mich zu wärmen begann, sah ich, dass einer kam. Ich wusste sofort, wer es war, doch ich machte keinen Versuch zu entkommen. Ich konnte nicht aufstehen. Es war, als hätte man mich angepflockt.
    Karthalo kam allein, er hatte Suru nicht mit. Ich spürte ein Würgen in meiner Kehle und dachte: Nun ist niemand da, der ihm bedeutet, was er zu tun hat.
    Er blieb vor mir stehen und sah mich an. Es war kein böser Blick, der mich traf. Als er zu reden anfing, hörte das Würgen in meinem Hals auf. Er sprach von Suru, von nichts anderem. Einen Satz sagte Karthalo immer wieder: Suru wartet auf dich. Er sprach Karthagisch und mischte nur wenige jener Worte hinein, die ihm nicht lagen. Doch ich verstand ihn. Als er zu reden aufhörte, wagte ich ihn anzusehen. Ich sah die Narbe in seinem Gesicht, doch nun dachte ich: Was kann er dafür, dass sein Gesicht geteilt ist? Nicht er hat das getan. Ein anderer hat es ihm angetan und plötzlich sah ich diesen andern vor mir. Ich erschrak. Er sah aus wie mein Vater, als er zu den Waffen gegriffen hatte. An vielen Männern hatte ich dieses Gesicht gesehen. In dem Augenblick, in dem sie töten wollten, hatten sie alle nicht mehr ihr eigenes Gesicht gehabt, sondern jenes andere, aus dem der Tod starrt.
    Hinter Karthalo sah ich die Trümmer, die vor wenigen Tagen noch Häuser gewesen waren. Karthalo war einer der Männer, die Sagunt zerstört hatten. Er war geschickt worden, um mich zu töten. Er hatte es nichtgetan. Und nun hatte er mich zum zweiten Male gesucht.
    Je länger ich ihn ansah, desto schwerer wurde es mir zu denken, dass es Menschen wie er gewesen sein sollten, die Sagunt dem Erdboden gleichgemacht hatten. Ein Erdbeben muss die Stadt zerstört haben, versuchte ich mir einzureden, nicht der Mann im roten Mantel, nicht Männer wie Karthalo. Ich wollte in Frieden leben mit diesem Mann, der von Suru kam.
    Karthalo setzte sich zu mir. Aus seiner Tasche holte er Brot und teilte es mit mir. Ich hatte Hunger und aß. Die Sonne wärmte, ich zitterte nicht mehr. Als wir gegessen hatten, saßen wir nebeneinander, ohne etwas zu sagen.
    Mir fiel auf, dass Karthalos rechtes Handgelenk mit einem breiten Band aus Leder umwickelt war. Das Band war abgenützt und verschmiert und glänzte in der Sonne fast wie Metall.
    Hin und wieder sah Karthalo mich an; dabei hielt er den Kopf etwas schief und ich dachte an Suru. Die Sonne tat ihm gut. Er sah zu ihr hinauf, aber lange hielt sein Blick sie nicht aus   – sie war schon zu stark.
    Auf einmal deutete Karthalo auf den Balken, der schwarz vor uns lag, unmittelbar vor unseren Füßen. Eine Eidechse lugte aus einem Spalt. Sie war grün und hob sich vom verkohlten Balken
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