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Ich würde dich so gerne kuessen

Ich würde dich so gerne kuessen

Titel: Ich würde dich so gerne kuessen
Autoren: Patrycja Spychalski
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durchschaut, was hier so los war.
    »Und was machst du hier?«, frage ich.
    »Ich habe Jeffer versprochen, die Wohnung übergabefertig zu machen. Ich muss im Bad noch ein paar Löcher zuspachteln.«
    »Wo ist er hin?«
    »Willst du das wirklich wissen?«
    »Natürlich.« Ich sehe ihn mit großen Augen an.
    »Ich weiß es nicht.«
    »Du bist sein bester Freund!«
    »Und du seine Seelenverwandte!« Er zuckt mit den Schultern.
    »Er hat dir nichts gesagt?«
    »Er hat nur gesagt: ›Man sieht sich immer zweimal im Leben.‹ Eigentlich ein blöder Spruch, aber er hat dann seine Sonnenbrille aufgesetzt und ist auf und davon. Eigentlich ein cooler Abgang.«
    »Und du hast nicht gefragt?«
    »Hast du schon mal versucht, ihn irgendwas zu fragen?«
    Er hat recht. Und er ist im Vorteil, weil er Jeffer länger kannte. Ich hätte gefragt, und wahrscheinlich ist das der Grund, warum Jeffer sich nicht von mir persönlich verabschiedet hat.
    »Soll ich dir helfen, den Karton nach Hause zu bringen? Er sieht schwer aus.«
    »Ist er auch. Es würde mir wirklich helfen, wenn du ihn mit mir zusammen zur S-Bahn bringen könntest.«
    »Kein Problem.«
    Edgar setzt sich zu mir an den Tisch und bietet mir eine Zigarette an. Ich nehme sie, obwohl ich eigentlich aufhören wollte damit, aber der Moment ist zu verführerisch.
    Wir rauchen still vor uns hin.
    Danach werde ich aber wirklich gehen müssen, bevor doch noch die Tränen kommen.
    Auf der Straße mühen wir uns mit diesem Karton ab, weil er nicht nur schwer, sondern auch unhandlich ist. Das hat sich Jeffer aber wirklich gut ausgedacht. Bloß nichts zu einfach machen!
    Am Bahnsteig wartet Edgar noch mit mir, bis die Bahn kommt.
    »Hör zu, ich wollte dich noch etwas fragen«, sagt er.
    »Ja?«
    »Die Black Birds gehen im Sommer auf Tour. Nichts Großes, ein bisschen in der Provinz rumfahren und mal in Leipzig, glaube ich. Jedenfalls wollen die eine Videodokumentation darüber machen. Na, so einen lustigen, kleinen Film über die Auftritte und die Besäufnisse im Backstageraum, das Übliche halt. Und da hat der Milo, der Sänger von denen, der hat gesagt, dass er dich immer mit der Kamera hat rumrennen sehen, und er wollte dich auch schon selber fragen, aber dann warst du nicht mehr da. Ich habe ihm versprochen, dich drauf anzusprechen, wenn ich dich sehe.«
    Milo also. Was hatte Jeffer doch gleich über ihn in seinem Brief geschrieben?
    »Die wollen, dass ich denen diesen Film drehe?«
    »Reisekosten und Verpflegung. Mehr können die natürlich nicht anbieten«, entschuldigt sich Edgar.
    »Wow.«
    »Ich weiß, ist nicht viel, aber …«
    »Nein, nein, ist schon okay. Ich bin bloß überrascht.«
    »Du musst ’ne Nacht drüber schlafen?«
    Eigentlich müsste ich wirklich eine Nacht drüber schlafen.
    »Sie spielen heute Abend wieder im Exit , also wenn du es dir schon vorher überlegt hast, kannst du ja mal vorbeischauen«, schlägt er vor.
    Meine Bahn fährt ein.
    »Okay. Danke. Ich denke darüber nach. Und danke auch wegen dem Karton.«

    Als die S-Bahn-Türen schließen, spüre ich dann doch noch ein bisschen Wehmut.
    Das war es also.
    Ich verstehe wirklich nicht, warum Jeffer unbedingt hier wegwollte, aber eigentlich hatte er es von Anfang an gesagt. Ich hatte ihn bloß nicht ernst genommen, und ich frage mich, ob es etwas geändert hätte, wenn ich es doch getan hätte.
    Plötzlich ist alles ganz weit weg. Die Partys, die Zweisamkeit auf dem Dach, das Alleinsein, die Ostsee. Je weiter mich die Bahn von Karlshorst wegfährt, umso mehr verschwimmen die Erinnerungen. Nur der Karton ist geblieben, dieses sperrige Ding voller Musik. Und ich kann mich nicht einmal bedanken.
    Man sieht sich immer zweimal im Leben, hat Jeffer gesagt. Irgendwie muss ich da an die Geschichte meiner Eltern denken, die sich auch erst im zweiten Anlauf gefunden haben. Komisch, wie das Leben manchmal so spielt.
    Er wird zurückkommen. Plötzlich bin ich mir da ganz sicher. Er wird es niemals ohne sein Publikum aushalten, nicht lange jedenfalls! Und spätestens dann wird er seine Platten wiederhaben wollen.
    Ich streiche noch einmal über den Karton, lehne mich zurück, ziehe meine Beine an den Körper, sehe aus dem Fenster.
    Das eintönige Rattern der Räder auf den Schienen macht mich schläfrig, und ich überlege angestrengt, wie ich meinen Eltern wohl am besten und ohne zu lügen verklickern kann, dass ich im Sommer mit den Black Birds auf Tour gehe.
    Mein erster richtiger Film.
    Über die Jungs.
    Über
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