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Ich würde dich so gerne kuessen

Ich würde dich so gerne kuessen

Titel: Ich würde dich so gerne kuessen
Autoren: Patrycja Spychalski
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gegenüber und versucht, mit mir zu flirten. Höflichkeitshalber lächle ich zwei Mal hinüber, aber ich bin wirklich nicht in der Stimmung, dabei sieht der Typ gar nicht mal schlecht aus. Und dann bekomme ich eine große Wut auf Jeffer. Er hat es geschafft, mir das Flirten mit gut aussehenden Typen zu vermiesen. Schlimmer noch, er hat es geschafft, dass mein jetziges Leben sich langweilig anfühlt und dass ich nichts mit mir anzufangen weiß. Ich triefe nur so vor Selbstmitleid und bin eigentlich von mir selbst angekotzt, aber ich weiß nicht, was ich dagegen machen soll.
    Ich brauche dringend Pläne für die Sommerferien!
    Und dann passiert es in einer Physikstunde – mein Herz setzt kurz aus, als ich in einer Musikzeitschrift blättere und die Ankündigung für ein Unplugged-Konzert der Black Birds in einer Kreuzberger Kneipe finde.
    Mein erster Gedanke ist, dass ich da natürlich hinmuss. Der zweite, dass ich da auf keinen Fall auftauchen kann. Alle weiteren Gedanken gehen wild durcheinander, und ich kann nur hoffen, dass es gleich zur Pause klingelt, ansonsten werde ich noch halb verrückt.
    Jeffer wird bestimmt dort sein. Aber nach allem, was mit uns beiden war, werde ich nicht so tun können, als wäre ich mal zufällig auf diesem Konzert gelandet. Ich versuche, mir unsere erste Begegnung auszumalen. Jeffers und meine. Nach allem, was war. Kann man das Gespräch mit einem »Hallo, wie geht’s so?« beginnen?
    Unmöglich.
    Eine Aussprache? Wir haben doch schon so viel gesprochen und am Ende war ich immer noch verwirrter als vorher.
    Physik zieht jetzt an mir vorüber, dabei hatte ich wirklich gute Vorsätze!
    Morgen fängt das Wochenende an, und ich sehe mich wieder zu Hause rumsitzen, unruhig, aber unfähig, mich aufzurappeln, irgendetwas zu tun.
    Ich bin meinen Eltern dankbar, dass sie mich nicht löchern und dass es fast scheint, als wäre die ganze Sache aus der Welt. Ich werde sie zum Essen einladen, in ein schönes Restaurant mit rot-weiß karierten Tischdecken. Als Wiedergutmachung. Und dann gehen wir vielleicht noch ins Kino, Meryl Streep spielt wieder in so einem Film mit. Bei Meryl Streep werden meine Eltern immer ganz weich und friedlich. Maja hat recht, meine Eltern sind cool, ich darf es ihnen bloß nicht sagen, sonst bilden sie sich noch was darauf ein.
    Aber das mit dem Konzert! Was für ein Zufall, dass ich in dieser Zeitschrift blättern musste, die jemand hier liegen lassen hat. Jetzt bin ich wieder so aufgeregt und durcheinander und die Hitze steigt mir ins Gesicht. Ich sehe, wie der Lehrer seinen Mund öffnet und wieder schließt, ich höre irgendwelche unzusammenhängenden Worte, dann Laute. Ich trommle mit den Fingern der einen Hand auf meine Oberschenkel, der anderen Hand knabbere ich gerade die Nägel ab.
    Ich gehe da hin. Ich gehe nicht. Vielleicht doch. Nein, ich kann nicht. Oh Gott, aber ich muss!
    Den Samstag verbringe ich mit meinen Eltern vor dem Fernseher. Amerikanische Familienserien. Wir sind große Fans davon. Ich kann mich trotzdem nicht konzentrieren. Um fünf klingelt das Telefon, und Maja fragt, ob ich mit zu den Black Birds komme.
    Warum weiß sie schon wieder, dass die Jungs heute spielen?
    Ich tue so, als würde mich das nicht interessieren, dabei klopft mir das Herz bis zum Hals. Ich wimmle sie ab und versuche, mich in meinem Zimmer abzulenken. Lesen, Musik hören, blöde Gedichte in meinen Block kritzeln.
    Um acht halte ich es nicht mehr aus und sage meinen Eltern, dass ich zu Freunden gehe. Schon wieder irgendwie eine Lüge, aber die ist mir so rausgerutscht, ohne dass ich darüber nachgedacht habe. Und irgendwie gehe ich ja auch zu Freunden.
    Ich fahre mit der U1 zum Schlesischen Tor. Die Kneipe heißt Wild Thing, und als ich sie betrete, bin ich der erste Gast. Ah ja, in Berlin fängt nichts vor 22 Uhr an. Ich komme mir blöd vor und verlasse die Kneipe, spaziere ein wenig durch die Kreuzberger Straßen. Die Cafés sind draußen bis auf den letzten Stuhl besetzt. Überall lachende Menschen, voller Erwartungen, voller Enthusiasmus und immer in Grüppchen unterwegs. Ich habe den Eindruck, dass sie mich auslachen, dafür dass ich ziellos und allein durch die Straßen schlendere, dafür dass ich wirke wie ein armes Würstchen, wo sie doch alle so sehr eine Gemeinschaft sind. Die Cocktailtrinker-Gemeinschaft. Die Wir-sind-doch-alle-Künstler-Gemeinschaft. Sogar die Punks, die nicht im Café sitzen, sondern auf dem Boden im Park, sind die Bunte-Frisuren-Gemeinschaft.
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