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Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Titel: Ich wuenschte, ich koennte dich hassen
Autoren: Lucy Christopher
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niedersausen lassen und dich zu fünfzehn Jahren oder so verurteilen, und alles – alles – wird endlich vorbei sein.
     
     
    Aber es kann auch anders laufen.
    Ich könnte dem Gericht eine Geschichte erzählen über den Tag im Park, als wir uns zum ersten Mal trafen, lange her, als ich zehn war und du fast neunzehn. Als ich dich unter den Rhododendronbüschen entdeckt habe, in Laub gehüllt und mit rosigen Blüten über deinem Kopf, die sich gerade zu öffnen begannen. Ich könnte ihnen erzählen, wie wir Freunde wurden, wie du mit mir geredet und auf mich aufgepasst hast. Ich könnte ihnen erzählen, wie du mich vor Josh Holmes gerettet hast.
    Mr Samuels wird dann natürlich versuchen, mich zu unterbrechen. Sein Gesicht wird rot und vor Überraschung werden seine Augen vortreten. Vielleicht wird er dem Richter sagen, meine Aussage sei unzuverlässig, weil ich immer noch unter dem Stockholm-Syndrom leide. Aber ich werde ruhig und gefasst sein und genau darlegen können, dass das nicht der Fall ist. Ich habe mich vorbereitet. Ich weiß genau, was ich sagen muss, damit sie mir glauben.
    Also wird mich der Richter weiterreden lassen, zumindest für eine Weile. Dann werde ich alle überraschen. Ich werde dem Gericht erzählen, wie wir uns ineinander verliebt haben. Nicht erst in der Wüste, natürlich nicht, sondern auf unsern Wegen durch die Straßen und Parks von London vor zwei Jahren, als ich vierzehn war und deiner Mutter so ähnlich sah.
    Ein Flüstern und Rascheln wird durch den Gerichtssaal gehen. Mum wird vielleicht aufschreien. Ich weiß, dass es schwer sein wird, sie nach dem, was jetzt kommt, noch anzuschauen, darum lasse ich es lieber und blicke stattdessen dich an. Ich werde behaupten, dass ich abhauen wollte.
    Du wirst mir kurz zunicken und dein Blick wird wieder lebendig. Und dann werde ich ihnen von deinem Plan erzählen.
    Du hast gesagt, du wüsstest einen perfekten Ort, an den wir gehen könnten. Einen Ort, an dem es keine Menschen gibt und keine Häuser, einen Ort sehr weit weg. Einen Ort, der von blutroter Erde bedeckt ist, in der das Leben schläft. Einen Ort, der sich danach sehnt, wieder lebendig zu werden. Einen Ort zum Verschwinden, einen Ort, um sich zu verlieren … und einen Ort, um gefunden zu werden.
    Ich bring dich dorthin, hättest du gesagt.
    Und ich könnte behaupten, ich hätte zugestimmt.
     
     
    Meine Hände zittern, während ich diese Sätze tippe. Tränen laufen mir übers Gesicht und der Bildschirm verschwimmt vor meinen Augen. Mein Brustkorb tut mir weh vor lauter unterdrückten Schluchzern. Weil es etwas gibt, das an mir zerrt, etwas, an das zu denken unendlich schwer ist.
    Ich kann dich nicht auf diese Art retten, Ty.
    Was du getan hast, war nicht so wunderbar und toll, wie du glaubst. Du hast mich aus allem rausgerissen – weg von meinen Eltern, meinen Freunden, meinem Leben. Du hast mich in den Sand und in die Hitze gebracht, in den Dreck und in die Einsamkeit. Und du hast von mir erwartet, dass ich dich liebe. Und das ist das Schwerste. Weil ich das getan habe, zumindest habe ich irgendwas da draußen geliebt.
    Aber ich habe dich auch gehasst. Das kann ich nicht vergessen.
    Draußen ist es total finster, die Zweige der Bäume klopfen gegen die Fensterscheibe … wie Finger. Ich ziehe die Bettdecke hoch, auch wenn mir nicht kalt ist, und starre hinaus ins Schwarz hinter dem Glas. Weißt du, wenn wir uns vielleicht ganz normal begegnet wären … vielleicht wäre dann alles ganz anders geworden. Vielleicht hätte ich dich lieben können. Du bist so anders gewesen, so ungezähmt. Wenn am frühen Morgen das Licht deine nackte Haut schimmern ließ, warst du das Schönste, was ich je gesehen habe. Dich in eine Gefängniszelle zu stecken ist, als würde man einen Vogel mit einem Panzer überfahren.
    Aber was kann ich sonst tun, außer dir all das zu sagen? Außer meine Geschichte aufzuschreiben, unsere Geschichte, um dir zu zeigen, was du getan hast … um dir begreiflich zu machen, dass es nicht in Ordnung war, dass es falsch war.
    Wenn ich vor Gericht trete, werde ich die Wahrheit sagen. Meine Wahrheit. Ich werde natürlich aussagen, dass du mich entführt hast. Denn das hast du getan. Und ich werde erzählen, wie du mich unter Drogen gesetzt hast und deine Stimmung immer wieder gekippt ist. Ich werde nicht davor zurückschrecken, vor Gericht zu sagen, wie böse du sein kannst.
    Aber ich werde auch von deiner anderen Seite erzählen. Von der Seite, die ich erlebte,
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