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Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Titel: Ich wuenschte, ich koennte dich hassen
Autoren: Lucy Christopher
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hier. Nach der Sache mit dem Ventilator hat Mum außerdem Dr. Donovan angerufen. Sie kommt fast jeden Tag und es ist okay, mit ihr zu sprechen. Sie drängt mich nicht weiter, lässt mich einfach reden, wenn ich will … wenn ich kann.
     
     
    Es war Dr. Donovans Idee, dass ich das hier schreibe. Natürlich hat sie nicht gesagt, ich soll an dich schreiben. Sie hat mir nur den Laptop gegeben und gesagt, ich soll alles aufschreiben.
    »Wenn du über das, was du erlebt hast, nicht reden kannst, dann schreib es auf«, hat sie gesagt. »Werd deine Gedanken los, egal wie, vielleicht in einem Tagebuch … einfach so, wie’s dir am leichtesten fällt. Es ist wichtig, dass du versuchst, die Dimension des Ganzen zu erfassen, zu verstehen, was dir da passiert ist.«
    Und ich versuche es wirklich, das kannst du mir glauben. Ich würde das alles furchtbar gern verstehen. Aber das kann ich nur, indem ich dieses Tagebuch hier schreibe – diesen Brief an dich. Schließlich warst nur du allein mit mir da draußen … du bist der Einzige, der weiß, was passiert ist. Und da ist was passiert, das stimmt doch, oder? Etwas Mächtiges, Seltsames. Etwas, das ich nie mehr vergessen werde, nicht vergessen kann, egal wie sehr ich mich anstrenge.
    Dr. Donovan glaubt, ich hätte das Stockholm-Syndrom. Alle glauben das. Ich weiß, dass es Mum Angst macht, wenn ich irgendwas Gutes über dich äußere; wenn ich sage, dass du nicht so böse bist, wie die Leute meinen, oder dass die Zeitungen keine Ahnung haben, wie du wirklich bist. Und immer wenn ich irgendwas in der Art zu Dr. Donovan sage, macht sie sich furchtbar viele Notizen und nickt vor sich hin.
    Deshalb habe ich damit aufgehört. Stattdessen erzähle ich ihnen, was sie hören wollen. Ich sage ihnen, dass du wirklich eine Bestie und total verrückt bist. Ich rede ihnen ein, mein einziges Gefühl für dich wäre Hass. Ich füge mich und tue alles, was die Polizei will. Ich habe auch eine schriftliche Aussage gemacht, in der genau das drinsteht, was sie von mir hören wollen.
    Ich wünschte, ich hätte das Gedächtnis verloren, damit ich mich nicht daran erinnern müsste, wie du aussiehst. Ich wünschte, ich könnte mich darüber freuen, dass du für zehn oder fünfzehn Jahre in den Knast musst. Ich wünschte, ich könnte alles glauben, was die Zeitungen schreiben. Oder was mir meine Eltern erzählen. Oder Dr. Donovan. Dabei ist es nicht mal so, dass ich ihre Sicht der Dinge nicht nachvollziehen kann. Auch ich habe mir gewünscht, du wärst tot.
    Und reden wir doch Klartext: Du hast mich ja wirklich entführt. Aber du hast mir auch das Leben gerettet. Und irgendwo dazwischen hast du mir einen Ort gezeigt, der derart anders und so schön ist, dass ich ihn nie mehr aus dem Kopf kriegen werde. Und dich werde ich auch nie mehr aus dem Kopf kriegen. Du steckst fest in meinem Hirn, als würdest du dahin gehören.
     
     
    Eben habe ich eine kleine Pause gemacht und bin ein bisschen in dem Garten rumgelaufen, der zu der Apartmentanlage gehört. Es ist eigentlich gar kein richtiger Garten, nur ein gepflastertes Areal mit ein paar Topfpflanzen und Sträuchern. Ich habe mich auf die Platten gesetzt und die Hochhäuser um mich herum betrachtet. Ich konnte deine Gegenwart fast körperlich spüren; du warst irgendwo hier in dieser Stadt, nicht weit weg. Fast konnte ich dein leises Husten hören. Auch du hast gerade an mich gedacht. Ich habe die Augen zugemacht und mir vorzustellen versucht, wie es sein wird. Werde ich Angst haben, wenn ich dich sehe, oder werde ich was anderes fühlen?
    Du wirst gefesselt sein, deine starken Arme bewegungslos. Du wirst nicht im Stande sein, mir etwas anzutun. Du wirst mich auch nicht berühren können. Wird dein Blick flehend sein oder wird er sich voll Wut in meine Augen bohren? Wie haben sie dich im Gefängnis behandelt? Hast du wieder Albträume? Eines jedenfalls ist klar: Wenn wir uns das nächste Mal gegenüberstehen und ich dich anschaue, wird der ganze Rechtsapparat zwischen uns stehen.
    Ich habe mir eingebildet, dass ich etwas verstehen würde, wenn ich an diesem Punkt in meinem Brief angekommen bin. Dass ich begreifen würde, wie das alles passieren konnte, wieso du in mein Leben getreten bist … warum du mich gewählt hast. Manchmal glaube ich, dass du immer noch genauso kaputt bist wie an diesem Tag im Park, als wir uns zum ersten Mal begegnet sind. Und manchmal denke ich an deinen Plan, dort draußen in der Hitze, in der endlosen Weite und
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