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Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Ich wuenschte, ich koennte dich hassen

Titel: Ich wuenschte, ich koennte dich hassen
Autoren: Lucy Christopher
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hielt sie nur die leeren Ärmel fest. Ich rannte einfach an den Presseleuten vorbei. Ich rannte auch an den Läden und an den andern Passagieren vorbei bis zu den Toiletten. Dort fand ich eine leere Kabine. Ich trat gegen die Tür, um ganz sicher zu sein, dass sie wirklich zu war, und verriegelte das Schloss. Dann setzte ich mich auf die Toilette und ließ meinen Kopf auf die Klopapierrolle sinken. Ich presste sogar meinen Mund dagegen, um mich davon abzuhalten, laut loszuweinen oder zu brüllen und zu toben und alles um mich herum kurz und klein zu schlagen. Ich atmete den Geruch nach Kalk und künstlichem Blumenaroma ein und blieb einfach dort sitzen. Ich konnte diesen Leuten nicht ins Gesicht sehen, keinem von ihnen. Alle wollten Antworten von mir, die zu geben ich nicht im Stande war.
    Mum fand mich. Sie stand auf der anderen Seite der Toilettentür, die Spitzen ihrer roten Schule einander zugewandt.
    »Gemma?«, sagte sie. Ihre Stimme schwankte und klang schwach. »Komm schon, Liebes, mach einfach die Tür auf. Hier kommt sonst keiner rein. Ich hab Dad gesagt, er soll dafür sorgen. Da ist keiner außer uns beiden.«
    Sie stand ewig lang da, bevor ich das Schloss aufsperrte. Sie kam in die Kabine und nahm mich ungeschickt in den Arm, während ich auf dem Klodeckel saß und sie halb neben mir kniete, mitten im Dreck, zwischen Klopapierfetzen und Pissespritzern. Sie zog mich auf ihren Schoß und zum ersten Mal, seit sie hierhergekommen war, erwiderte ich ihre Umarmung. Als sie sich an die Kloschüssel lehnte und mich mit ihrer Jacke einhüllte, kam mir ein Gedanke. Diese Mum, die mich gerade so innig festhielt, wirkte überhaupt nicht wie die Mum, von der du gesprochen hattest. Zum ersten Mal fragte ich mich, ob die ganzen Geschichten, die du mir in der Wüste erzählt hattest, überhaupt wahr waren; all diese Gespräche, die du angeblich insgeheim mit angehört hattest – darüber, dass meine Eltern wegziehen wollten oder dass sie enttäuscht von mir waren. Hattest du mich die ganze Zeit über angelogen?
    Mum streichelte sanft über meine Haare. Ich schmiegte mich an ihre Schulter und begann zu flüstern.
    »Ich kann nicht zurück. Noch nicht. Ich kann hier nicht fort.«
    Und sie drückte meinen Kopf eng an ihre Brust und schlang die Arme noch fester um mich.
    »Das musst du nicht«, sagte sie und wiegte mich. »Du musst überhaupt nichts tun, was du nicht willst, jetzt nicht mehr.«
    Da weinte ich.
     
     
    Während der Taxifahrt in die Stadt sagte keiner von uns ein Wort. Ich kuschelte mich die ganze Zeit über in Mums Arme. In meinem Kopf schwirrte es, als ich mir in Erinnerung rief, was du mir über mein Leben erzählt hattest. Du hattest gesagt, ich wäre meinen Eltern nicht wichtig, es ginge ihnen nur um sich selbst und ums Geld. Du hattest behauptet, sie wollten umziehen. Und du hattest so überzeugend geklungen.
    Ich musste mich zwingen, meine Gedanken auszublenden. Ich hatte keine Ahnung, was passieren würde, falls ich wieder ins Grübeln kam. Wahrscheinlich würde ich mich mit voller Absicht aus dem Taxi fallen und überfahren lassen. Dad dachte über unser Gepäck nach und überlegte, wo wir jetzt hinkonnten. Ich richtete meine Aufmerksamkeit auf den vorbeischießenden Beton … die Gehwege, die Gebäude und wieder die Gehwege, nur ab und zu gab es einen Baum. Ich vergrub mich in den leicht süßen Geruch von Mums Bluse.
    Der Fahrer blieb vor einem dunkelgrauen Apartmentblock stehen.
    »Wohnungen mit Service«, grunzte er. »Sind neu. Keiner weiß, dass die schon aufgemacht haben.« Er wartete auf sein Trinkgeld.
    Wir gingen hinein an die Rezeption. Mein leerer Gesichtsausdruck verbarg, was in mir vorging. Mum nahm den Apartmentschlüssel und führte mich durchs Foyer. Dad blieb zurück, um unsere Situation zu erklären. Meine Beine zitterten auf dem Weg die Treppen hoch; Mum musste mir helfen.
    Kaum waren wir oben, drehte ich durch. Ich knallte die Tür zu, schnappte mir das Erstbeste, was mir in die Finger kam – eine Lampe –, und donnerte sie gegen die frisch gestrichene beige Wand. Der Lampenfuß aus Porzellan zersprang beim Aufprall, Scherben flogen überall herum. Dann griff ich nach etwas anderem – einer Blumenvase – und schleuderte auch sie gegen die Wand. Mum krümmte sich zusammen, um nicht getroffen zu werden. Mit großen Augen, in denen der Schock stand, begann sie sich auf mich zuzubewegen, aber ich schnappte mir den nächstbesten Gegenstand und hielt ihn ihr entgegen, bevor
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