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Ich wollte Hosen

Ich wollte Hosen

Titel: Ich wollte Hosen
Autoren: Lara Cardella
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hätte sie diesen Dreck gesehen und noch mehr geweint. Dann hat er alles Geld genommen, das in der Schublade war, und ist gegangen. Er ist Wein kaufen gegangen, und wenn er dann heimkommt, ist er wieder betrunken und schlägt mich und sagt mir diese Dinge. Er sagte immer zu mir: Für wieviel Geld hast du es dir machen lassen? Und er sagte, ich wäre dumm, ich hätte mir doch mehr geben lassen können, aber ich sei ja nicht mal fähig, mich ficken zu lassen. Ich wollte es ihm sagen, daß ich mich nicht ficken habe lassen, ich hatte Liebe mit ihm gemacht, und er hatte mir gesagt, es sei das Schönste in seinem ganzen Leben gewesen. Ich habe Angst, daß er Aurelia etwas antut, denn jetzt ist er verrückt und versteht nichts mehr.
    Ich wollte schon, mit Tränen in den Augen, eine weitere Seite anfangen, aber meine Tante kam herein und unterbrach mich: » Va sarvulu, allè! Stà trasennu Vicinzinu, allè, Annè, curra! Geh und versteck es, schnell! Vincenzino kommt gleich rein. Mach schnell, Annetta, lauf!« Ich sprang auf und versteckte rasch das Tagebuch unter der Matratze. Gleich daraufkam er herein, um mich zu begrüßen.
»Annè, ccà sì? Quannu vinisti? Annetta, du hier? Wann bist du gekommen?«
Die Tante antwortete für mich, und er kam her, um mich auf die Wange zu küssen. Ich spürte Widerwillen in mir aufsteigen, aber ich konnte nicht verhindern, daß er meine Wange mit diesen ekelhaften Lippen und diesem kotzigen Mundgeruch besudelte. Dann sagte Tante Vannina, wir sollten zu Tisch kommen, es sei schon alles fertig. Es war ein Uhr, und ich hatte völlig mein Zeitgefühl verloren, eingetaucht wie ich war in diese mitreißende und anrührende Entdeckung des wahren Ichs von Tante Vannina. Und während sie die dampfenden, aber verkochten Nudeln servierte, sah mich die Tante an, als suchte sie eine Antwort, einen Kommentar in meinen Augen. Ich konnte ihr auf keine Weise begreiflich machen, was ich dachte, auch weil nicht einmal ich genau wußte, was ich dachte: Ich hatte diese Seiten mit dem Herzen gelesen, und jetzt konnte ich sie nur mit dem Herzen beurteilen, aber ich fühlte mich nicht in der Lage, irgendein Urteil über sie auszusprechen. Ich wollte nur gleich mit dem Essen fertig sein, warten, daß er sich ins Bett legte, wie es bei uns Sitte ist, und mich wieder in die Lektüre stürzen.
Inzwischen aber mußte ich seine Fragen ertragen, die er sich selbst beantwortete, seine kleinen, immer vulgären Bemerkungen ...
» Scè, scè ... Annetta ranni addivintà ... Schau, schau ... Annetta ist groß geworden ...«
Und ich mußte so tun, als verstünde ich die überdeutlichen Anspielungen nicht, und weiteressen, während ich in Gedanken zu jenen Worten zurückkam: » Poi continuammu . Später machen wir weiter.« Später bedeutete jetzt, es war jetzt: Er hatte endlich die Gelegenheit, das mehrere Jahre zuvor begonnene und nie beendete Werk fortzusetzen ... Und wer konnte mich verteidigen? Meine Tante? Der es nicht einmal gelungen war, sich selbst zu verteidigen? Bei der Verabredung mit ihm war ich allein, und das wußte er nur zu gut. Meine Oma würde nicht mehr kommen, um mich fortzubringen und zu verhindern, daß man mir weh tat.
Das Mittagessen war zu Ende, und ich stand sofort vom Tisch auf. Als ich in das kleine Zimmer kam, hob ich die Matratze und nahm das Büchlein heraus, um die Lektüre fortzusetzen, vielleicht auch um die Angst und dieses Gefühl der Ohnmacht zu vertreiben, die sich meiner jedesmal bemächtigten, wenn ich an jene Worte dachte: » Poi continuammu .«
    23. Mai 1973
Zum Glück habe ich wenigstens dieses Tagebuch, um mich auszusprechen, sonst würde ich verrückt ... Gestern ist Vincenzo spät nach Hause gekommen, es war schon nach eins, und ich tat so, als schliefe ich. Er hat sich ausgezogen und sagte dauernd, daß er eine Nutte geheiratet hätte, die nicht bumsen könne. Er war mit irgendeiner echten Nutte gegangen, eine von denen, die sich zahlen lassen, mit meinem Geld ist er zu ihr gegangen ... Dann hat er sich hingelegt, aber er schlief nicht, weil ich hörte, daß er weinte; sogar wenn er weint, ist er widerlich, weil er sich die Nase mit der Hand trocknet und dann die Hand am Laken abstreift. Es ist nicht das erste Mal, daß er zu weinen anfängt, das macht er jedesmal, wenn er stockbetrunken ist. Einmal habe ich versucht, ihm Mut zuzusprechen, weil ich nicht verstand, warum er weinte, und er fing an zu lachen, dann weinte er wieder, und dann gab er mir eine kräftige Ohrfeige.
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