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Ich wollte Hosen

Ich wollte Hosen

Titel: Ich wollte Hosen
Autoren: Lara Cardella
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Ebook by »Zerwas«
Fischer Taschenbuch Verlag
    Ich habe nie vom Märchenprinzen geträumt.
Und wenn bei uns einer nicht vom Märchenprinzen träumt, dann träumt er vom Herrn des Himmels oder er träumt gar nicht. Ich habe vom Herrn des Himmels geträumt, seit ich fünf war, und sie sagten mir, dieser Bärtige in den Wolken mit seinen herumschweifenden Augen und dem majestätischen Zeigefinger sei mein Vater.
Ich habe meinen Vater, den Irdischen, nie geliebt, denn der sagte zu mir, ich solle keine Hosen tragen und meine Beine nicht sehen lassen; der himmlische Vater dagegen ließ mir die Hoffnung, daß ich eines Tages Hosen anziehen dürfte wie mein Bruder und meine Beine zeigen wie Angelina, die Tochter von Ingenieur Carasotti. In meinem Zimmer auf dem Kinderbett zeichnete ich diesen großen Vater, und sein Zeigefinger war nicht majestätisch, sondern er paßte ganz in meine kleinen Hände, die ihn mit kindlicher Liebe umfaßten. Dann kam er herein und sagte, ich würde in die Hölle kommen, weil ich Gott lästerte, und er verstand nicht, daß ich Gott liebte.
Ich war gerade halbwüchsig, als ich beschloß, ins Kloster zu gehen. Mit wenig Erfolg und zum Verdruß aller besuchte ich das Gymnasium. In den faden Lateinstunden schaute ich zum Fenster hinaus und dachte, daß Er auf mich schaute, und vielleicht unbewußt lächelte ich ihm zu.
Eigentlich hatte nicht ich mich für den Besuch des Gymnasiums wirklich entschieden, sondern die drastischen Bedingungen, die mir mein Vater auferlegt hatte (»Entweder Schule oder du bleibst zu Hause«), brachten mich dazu, lieber die Schulbank zu drücken, als ewig am Webstuhl zu sitzen oder vor einem Berg Tomaten zum Einmachen. Ich war nicht sonderlich für Hausarbeit begabt, noch weniger fürs humanistische Gymnasium; vielleicht eignete ich mich für gar nichts, aber irgendwas mußte ich ja tun, vor allem um zu beweisen, daß ich mich nicht von einem jungen Mann aus guter Familie aushalten lassen würde.
Also, zu der Zeit träumte ich davon, ins Kloster zu gehen: Ich malte mir dieses fromme klösterliche Leben aus, und wenn ich in unserem Dorf Nonnen auf der Straße sah, mußte ich einfach unter ihre Tracht schauen, ob sie vielleicht Hosen trugen. Zur Messe ging ich fast nie, weil ich trotz allen guten Willens bei Pater Domenicos langen Moralpredigten regelmäßig einschlief.
Meine Frömmigkeit war eher geistig, und meine Beziehung zu Gott spielte sich in den Grenzen der vier Wände meines Zimmers ab; denn da gehörte er mir allein und ich mußte ihn mit niemandem teilen. Diese Art Frömmigkeit wurde von den Leuten im Dorf nicht sonderlich geschätzt; sie verstanden eine Beziehung zu Gott als etwas Stilisiertes und Manieristisches, etwas, was nur über den Priester samt seiner Sonntagskollekte vermittelt werden konnte.
Ich ging fast nie zur Beichte. Nicht, daß ich nicht meine kleinen Sünden begangen hätte, ganz im Gegenteil, aber ich traute den Priestern, ihren Predigten und vor allem ihrem ständigen eindringlichen Bitten um Spenden nicht über den Weg. Vielleicht war ich auch schockiert darüber, daß Pater Domenico eines Sonntags mit lauter Stimme eine alte Dame tadelte, weil sie so knauserig gespendet hatte und sie warnte, sie würde nicht ins Himmelreich kommen. Außerdem fand ich, daß ich keinen Mittler für meinen Dialog mit Gott brauchte. Ich würde ja bald seine Braut werden.
    Meine Klassenkameradinnen träumten vom Märchenprinzen.
Wenn sie aus dem Haus gingen, trugen sie ihre langen Blümchenröcke und die weißen Spitzenblusen. Kamen sie in der Schule an, sperrten sie sich auf dem Klo ein und her mit der Ausrüstung à la femme fatale: Lippenglanz nach dem letzten Schrei aus Paris, Lidschatten und Rouge, wie sie sie bei dieser berühmten Schauspielerin gesehen hatten ... Wie hieß sie bloß? ... Das war ... Nein, das war die andere, das bringst du durcheinander ... Dann knöpften sie sich die Blusen auf, die zwei obersten Knöpfe, zogen ganze Packungen Kleenex aus ihren Taschen, und schon waren die Busen prall und üppig; den Rock noch ein bißchen höher gezogen, in der Taille zusammengerafft, ein paarmal umschlagen, und der Saum kommt hoch bis übers Knie, so daß man die Kniestrümpfe sieht, die bis zur Wade gehen, und die groben Jungenschuhe, die man üblicherweise von der Oma geerbt hat und die auch die Mama schon trug, damit die Tradition fortgesetzt wird.
Ich sah aus einem Winkel zu und lachte aus der Höhe der Überlegenheit, die mir mein blauer
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