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Ich wollte Hosen

Ich wollte Hosen

Titel: Ich wollte Hosen
Autoren: Lara Cardella
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Plisseerock verlieh und das lange schneeweiße Hemd von meinem Vater, noch wie neu und nach Mottenkugeln riechend. Ich lachte und dachte an die Verführungsszenen dieser kleinen Mädchen, die mit unübersehbarem Hüftwackeln durch die Schulflure schritten, ihre Hintern schwenkten und unter hysterischem Kichern die Kleenextüchter vor dem Verrutschen bewahrten. Die Jungen schauten ihnen zu, und ich hörte, wie Giovanni zu Giampiero sagte: » Vidisti cchi culu? Ia ccù chissa ... Hast du den Hintern gesehen? Was ich mit der ...«, und los ging's mit einem Schwall kaum ausdenkbarer Vorhaben, der Phantasie wuchsen Flügel, genährt von den Pornoheftchen, die einer im Keller oder unterm Ehebett der Eltern oder in der Schachtel mit Papas Erinnerungsstücken gefunden hatte, neben seiner Pfeife und der Gebirgsjägerkappe. »Hast du Angelina schon gesehen? Die hat vielleicht zwei Titten, daß ich ... Ich wüßte schon, was ich mit der machen würde!«
Dann kam ich vorbei und Schweigen im Walde, als wäre einfach niemand vorbeigegangen, das absolute Nichts. Aber das machte mir nichts aus. Ich träumte ja nicht vom Märchenprinzen und schmierte mich nicht so an ... Und außerdem, was für ein Aufwand, nur um sich ein bißchen bewundern zu lassen! ... Ich würde mich beleidigt fühlen, und außerdem waren ihre Kommentare wirklich nicht die Ohrfeigen und das Geschimpfe der Lehrer oder, schlimmer noch, des Direktors wert.
Der Direktor war ein alter Anhänger der Hitler-Bewegung, natürlich abgemildert durch seine eigene Mentalität. An Hitler schätzte er dessen repressive Manien, dessen autoritäre Haltung und Überzeugung, die Welt werde durch seinen Willen bewegt; diesen Charakterzügen eiferte er nach; und zu allem Überfluß sah er Mussolini ähnlich. Beim Ertönen der Schulglocke um halb neun wartete er oben an der Treppe auf uns, kerzengerade und stolz in die Brust geworfen, in seinem blaumelierten Anzug, mit wildem Blick und blankem Schädel. Er sagte fast nie etwas, kam langsam die Stufen herunter, als genösse er jeden Schritt, und prüfte die Rocksäume (manchmal hatte er auch einen Meterstab dabei), die Knöpfe an den Blusen, die Pullis auf Durchsichtigkeit, Gesichter, Wangen, Augen, Münder. Ein Ritual, das sich beim Ertönen der Schulglocke um dreizehn Uhr dreißig wiederholte, bloß daß diesmal ein paar Spuren Schminke übriggeblieben waren, ein paar Kleenextücher rutschten und manche Säume herunterhingen. In solchen Fällen wurde der Direktor zur Furie, es setzte Ohrfeigen und Vorwürfe, und am nächsten Tag, wenn eine mit dem Vater kommen mußte, wieder Vorwürfe. Da schaltete sich dann der Vater ein: » Bonu ficia! ... L'avia ammazzari a' 'sta buttana. Recht hatten Sie! ... Umbringen hätten Sie sie sollen, die Nutte«, die Mütter sperrten die Töchter ins Haus; wenn sie einkaufen gingen, hielten sie den Blick gesenkt vor Scham und Schande. Dann der Klatsch im Obstladen, im Lebensmittelgeschäft und beim Fleischer; und die Frauen, die an warmen Vormittagen vor dem Haus in der Sonne sitzen, einander hämisch zugrinsen und tuscheln und zischeln: » A vidisti? A vidisti? Hast du sie gesehn? Hast du sie gesehn?«
Ich bekam diese Szenen mit, war etwas angeekelt, fragte mich aber vor allem nach dem Warum. Ich war in demselben Dorf wie diese Leute geboren und aufgewachsen, aber dieses Interesse für das Leben anderer konnte ich noch immer nicht begreifen. Man wußte immer alles von jedem, keiner wurde verschont: Nachrichten verbreiteten sich mit atemberaubender Geschwindigkeit von Mund zu Mund und bekamen bei jeder Station einen neuen Farbtupfer hinzu; wenn ein Mädchen später als sonst nach Hause kam, war sie innerhalb von ein paar Stunden eine Ausreißerin; wenn man in der Wohnung nebenan einen Teller fallen hörte, war das sicher ein Ehezwist und so in diesem Stil.
Niemandem war irgend etwas gleichgültig: Ein jeder interessierte sich für alles. Und in gewisser Weise ist das die menschliche Seite meiner Leute: Freilich hast du keine Handlungsfreiheit mehr, aber du hast auch nicht die Freiheit und das Recht, einsam zu krepieren. In meinem Dorf krepiert nicht einmal ein Hund für sich allein.
Die Rückkehr dieser Entehrten in die Klasse wurde im allgemeinen von feierlichem Schweigen begleitet. Natürlich schwiegen nur die Mäuler, denn die Gedanken waren in hellem Aufruhr: »Armes Ding, da schau an! Ihr Gesicht ist ganz rot ...«, »Wie oft sie sie wohl geschlagen haben? ...«, »So lernt sie wenigstens, wie man
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