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Ich wollte Hosen

Ich wollte Hosen

Titel: Ich wollte Hosen
Autoren: Lara Cardella
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nicht mit Mädchen!« oder auch »Schau mal ... der Bart sprießt ihm schon!«
Das junge männliche Wesen, u masculu , war eine ganz besondere Rasse: er war vulgär, stark, mutig und unbarmherzig.
Bei mir zu Hause hatte ich mein ganzes Leben mit einem masculu verbracht und immer das Gewicht der Tradition, der Konvention tragen müssen. Mein Bruder war größer als ich, und das schien ihm die Autorität zu verleihen, an mir Vaterstelle zu vertreten, wenn mein Vater auf dem Feld war. Zu Antonio hatte ich keinerlei Beziehung, ich war zu anders, zu sehr Frau, um mit ihm reden zu können. Außerdem blieb er selten zu Hause. Mein Bruder half meinem Vater bei der Feldarbeit, und wenn er heimkam, ging er aus. Oft kam er betrunken nach Hause, spät nachts, stieß gegen ein Möbelstück und warf sich dann aufs Bett, wie er war, angezogen und mit Schuhen. Ich haßte ihn nicht, weil ich grundsätzlich niemanden haßte. Aber ich betrachtete ihn nicht als meinen Bruder. Gemeinsam hatten wir im Grunde nur den Uterus einer Frau, die nur zufällig meine Mutter war.
Manchmal dachte ich über mein Leben nach, was wäre, wenn ich aus einem anderen Uterus geboren worden wäre, wenn ich in einem anderen Teil der Welt gelebt hätte, oder wenn an dem bestimmten Abend mein Vater so müde gewesen wäre, daß er nicht einmal einen Finger hochgebracht hätte ... Das hätte nichts geändert. Es hätte viele andere Abende gegeben, an denen er nicht müde gewesen wäre und die Kraft gefunden hätte, das Licht zu löschen und mich im Uterus meiner Mutter unterzubringen: Und dann hätte meine Mutter gefragt: » Finisti? Bist du fertig?«, und dann, nach neun Monaten, wäre ich geboren worden ... oder ein anderes Ich, das auf die gleiche Weise wie ich gelebt hätte und den gleichen Namen getragen hätte und das gedacht hätte, was gewesen wäre, wenn an dem bestimmten Abend ... Um mein Vorhaben in die Tat umsetzen zu können, fing ich an, die seltsame Rasse Mann in allen Einzelheiten zu studieren, insbesondere meinen Cousin Angelo. Angelo war dreizehn, hatte tiefschwarze Haare und Augen und war immer braungebrannt von der Sonne der Felder, wo er meinem Onkel Giovanni u' pilusu , dem Behaarten half, einem lebenden Beweis für Darwins Theorien. Mein Cousin verkörperte den typischen heranwachsenden Sizilianer: kräftig gebaut, mit begehrlichen Augen und flinken Händen. Er ging nicht zur Schule, die brauchte er nicht, er war intelligent und lebhaft und in seinem Verhalten mehr als männlich, er war durch und durch ein Kerl.
Ich folgte ihm aufs Feld, wenn er abgezehrte Schafe molk, die nichts als schmutzige Wolle trugen, wenn er frühmorgens die gerade gelegten Eier einsammelte und sie roh in einem Schluck austrank, wenn er sich im Stall einschloß und die von seinem Vater weggeworfenen Zigarettenkippen aufrauchte, wenn er mitten durch Pferdeäpfel trampelte, weil er sagte, das brächte Glück, wenn er sich im Spiegel ansah, ob ihm schon das eine oder andere Barthaar, ein piluzzu , gesprossen war. Und ich imitierte ihn.
Während meine Klassenkameradinnen sich auf dem Klo schminkten, schloß ich mich in unserer Toilette ein und rasierte mich: Mit geschickten Handbewegungen seifte ich mir das Gesicht ein, dann griff ich zur Rasierklinge und nahm langsam - nicht aus Angst, sondern wegen der Pose - den leichten Flaum ab, der sich auf meinen Wangen gebildet hatte. Während meine Klassenkameradinnen Pakete von Kleenextüchern benützten und mit dem Hintern hin und her wackelten, verbrachte ich die Zeit damit, mich an den Attributen zu kratzen, die ich gar nicht besaß. Und während sie sogar auf der Kloschüssel noch mit geradem Rücken, Brust heraus, dasaßen, übte ich das Pinkeln im Stehen und spuckte gegen das Fenster. Und während jede Gleichaltrige beim Anblick einer winzigen Spinne in Ohnmacht gefallen wäre, machte es mir Spaß, sie zu schnappen und zu vivisezieren. Probeweise versuchte ich mich auch an ein paar ordentlichen Zügen Tabak, und nach anfänglichen Problemen konnte ich bis zu 30 Kippen täglich rauchen, inhalieren und sogar den Rauch zur Nase rauslassen.
Inzwischen war ich praktisch der Schatten meines Cousins geworden: Ich folgte ihm überall hin, ich spionierte ihm überall nach. Er hatte sich kaum umgedreht, ZACK! schon war ich da.
Nach anfänglichem Widerstreben ( L'omina su sempri omina! Männer sind immer Männer!) brachte ich es soweit, daß er mich akzeptierte. Er war der einzige Mensch, dem ich mein Geheimnis anvertraute, nicht
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