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Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Titel: Ich werde immer da sein, wo du auch bist
Autoren: Nina Lacour
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habe ich sie aufgehängt, jeweils drei Fotos an fünf Wände und eins über die Tür. Als ich meine Eltern zur Besichtigung eingeladen habe, hat Dad tatsächlich geheult, und Mom hat die Fotos so stolz betrachtet, als hätte ich die
Mona Lisa
gemalt.
    Morgen wird das Kino abgerissen, außerdem findet abends die Einweihungsparty vom Baumhaus statt, zumindest nennen das meine Eltern so. Maddy kommt aus der Stadt, und Dylan bringt tolle Leckereien von ihrer Mutter mit, und Taylor und Jayson kommen und natürlich meine Eltern, die endlos von dem Nachtisch gequasselt haben, weil sie dazu den Rhabarber aus unserem Garten nehmen wollen. Ms Delani habe ich auch eingeladen. Sie hat gesagt, sie würde sehr gern kommen.
    Ich habe schon ein bisschen Musik rausgesucht und die Teller und das Besteck raufgebracht, deshalb kann ich jetzt nur noch warten. Ich drehe leise Musik an, strecke mich auf dem Teppich aus, nicke ein paarmal ein und wache wieder auf. Beim Aufwachen schaue ich durch das Fenster im Dach und kann die Wolken sehen.

4
    Der Wecker klingelt um zwei Uhr. In nur fünf Stunden soll mit dem Abriss begonnen werden. Ich weiß, ich muss noch ein letztes Mal zum Kino gehen. Ich schlüpfe in Jeans und einen Kapuzenpulli, ziehe die grünen Converses an, hinterlasse eine Nachricht für meine Eltern und schleiche mich aus dem Haus.
    Es herrscht rabenschwarze Dunkelheit, und ich bedanke mich im Stillen bei Dad, der darauf besteht, dass ich im Kofferraum immer eine Taschenlampe dabeihabe. Ich parke vor dem Kino und finde mit Hilfe der Taschenlampe den Weg zu dem kaputten Fenster, werfe meinen Rucksack rein und krieche hinterher.
    Ich hole Ingrids Tagebuch aus der Tasche und reiße sorgfältig die erste Seite heraus. Ich stecke die Zeichnung
Ich an einem Sonntagmorgen
in einer Mappe in meinen Rucksack. Dann steige ich die Treppe zum Vorführraum hoch. Dort oben waren die Buchstaben für die Anzeigentafel. Ich möchte ihr eine Botschaft schicken.
    Wenn ich nicht monatelang geübt hätte, an irgendwelchen Ästen oben in einer Eiche zu hängen, hätte ich jetzt bestimmt schrecklich Angst. Ich klettere auf die oberste Sprosse der wackligen Leiter, die bestimmt schon seit Jahren an der Wand in der Eingangshalle lehnt, die Taschenlampe unter den Arm geklemmt und die Kiste mit den Buchstaben in der Hand. Glücklicherweise ist unter der Anzeigentafel ein Sims, auf dem ich alles ablegen kann. Es ist eine windstille, warme Nacht. Ich habe keine Ahnung, wie ich das, was ich sagen will, in wenigen Wörtern zusammenfassen kann. Ich nehme die alten Buchstaben von GO DBYE & THA K YOU ab und überlege, was ich schreiben will.
    Ich denke an so vieles: An rote Ohrringe, die wie Knöpfe aussehen. Wörter, Sätze und Teile von Zeichnungen. Bunte Spuren an ihren Fingern, wenn sie den Stift zu fest umklammert hatte. Wie sie mich durch den Sucher anschaute: konzentriert, hübsch, unbeirrt. Schule schwänzen und tatenlos rumhängen. Blaue Adern und blasse Haut.
Du bist eine schreckliche Streberin.
Rotes Licht in der Dunkelkammer auf ihrem konzentrierten Gesicht. Ein stiller Hügel, feuchtes Gras unter unseren nackten Füßen. Narben sind
hässlich
. Klare blaue Augen.
Ich werde immer da sein, wo du auch bist.
Hohe Champagnerflöten.
Halt still. Wir sehen toll aus.
Tanzen in einem gelben Kleid. Der Bach.
Du suchst vielleicht nach Gründen, aber es gibt keine.
Nagellack in Taschen verschwinden lassen.
Ich will dir nicht weh tun und auch sonst niemandem, deshalb vergiss mich bitte einfach.
    Ich sehe mir die Buchstaben an und ziehe die heraus, die ich brauche. Sie lassen sich leicht befestigen. Ich schreibe den ersten Satz und erkenne, dass das alles ist, was ich noch sagen will.
    DU FEHLST MIR .
    Vorsichtig taste ich mich wieder nach unten. Ich bringe die Schachtel zurück in den Vorführraum, wo mein Rucksack auf mich wartet. Wieder hole ich das Tagebuch heraus. Der weiße Vogel ist jetzt ganz verschwunden. Ich stelle das Tagebuch zwischen die anderen Bücher und ein paar Filmspulen ins Regal. Ich stehe auf, gehe zur Tür und beleuchte den blauen Einband zum letzten Mal. Von hier aus sieht es aus wie irgendein Buch.

5
    Ich wache auf und habe noch die Jeans und den Pulli an. Die vergangene Nacht erscheint undeutlich und weit weg.
    Um mich zu vergewissern, sehe ich noch mal in meinen Rucksack. Das Reißverschlussfach ist leer.
    Als ich zum Frühstück runtergehe, haben meine Eltern einen Teller mit Müsli an meinen Platz gestellt. Sie sitzen schon am Tisch,
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