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Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Titel: Ich werde immer da sein, wo du auch bist
Autoren: Nina Lacour
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haben Ingrids Eltern den größten Verlust erlitten, einen größeren als ich, und ich denke, dass sie alles haben müssen. Ich greife in meine Tüte, bereit, alles herzugeben.
    Der Vogel auf dem Einband ist jetzt fast ganz abgeblättert. Es fühlt sich unerwartet natürlich, sogar leicht an, als ich Ingrids Tagebuch auf den Couchtisch lege.
    »Eigentlich solltet ihr das haben.«
    Aber dann.
    Plötzlich erinnere ich mich an alle Texte – als sie wollte, dass Jayson ihr weh tut, der Bach, die Typen. Sie wollte nicht, dass ihre Eltern davon erfahren. Ich merke, wie ich blass werde, wie mir übel wird. Ich weiß nicht, ob ich das Heft wieder zurücknehmen kann.
    Mitch betrachtet mich aufmerksam. Er räuspert sich. »Wir haben so viele Tagebücher von ihr. Du solltest sie dir mal anschauen. Sie hat seit ihrer Kinderzeit Tagebuch geführt. In der Garage stehen ganze Kisten voller Tagebücher.«
    Susan berührt den Einband, aber sie schlägt das Heft nicht auf. »Wir haben einiges aus ihrer Kinderzeit gelesen, bevor sie krank wurde. Es war ein Trost, sich an die Ingrid von damals zu erinnern – jung und begeistert vom Leben.«
    Sie schüttelt den Kopf und gibt mir das Tagebuch zurück.
    »Wenn Ingrid wollte, dass du es bekommst, dann sollst du es auch haben.«
    Ich stecke es in sein gewohntes Fach. Ein Teil von mir ist erleichtert, aber als ich später rausgehe, fühlt sich mein Rucksack schwerer an als jemals zuvor.

24
    Es ist spät und dunkel. Dylan lernt für ihre letzten Klausuren, aber ich überrede sie rauszukommen. Ich lasse mein Auto stehen, und wir laufen zum Kino. Es ist einer der ersten warmen Abende des Jahres. Am Himmel sieht man Millionen von Sternen.
    Erleichtert stelle ich fest, dass niemand das Fenster verrammelt hat. Ich schiebe den Vorhang zur Seite, und wir klettern hinein.
    »Ich kann nichts sehen«, sagt Dylan.
    Ich hole eine Taschenlampe aus meinem Rucksack.
    Als ich sie anknipse, sagt Dylan: »Gehört das auch zu deinem großen Plan für diesen Tag?«
    Ich nicke.
    Trotz Taschenlampe müssen wir uns durch die Sitzreihen nach vorn tasten. Wir suchen uns zwei Plätze in der Mitte, und ich erzähle Dylan alles von meinem Tag, vom Augenblick des Aufwachens bis jetzt.
    »Und was ist mit mir?«, fragt sie dann und streckt ihre Hände aus. Ich ziehe zwei Ordner aus dem Rucksack und gebe ihr einen.
    Sie schaut nicht hinein. »Ist es in Ordnung, wenn ich mir das für später aufhebe?«
    Ich nicke. »Es ist eine ganze Menge. Du kannst das lesen, wann immer du willst.«
    Sie steckt den Ordner in ihre Umhängetasche. Ich schlage den zweiten Ordner auf und gebe ihn Dylan. Während sie in den Fotos blättert, die ich von Ms Delani ausgeliehen habe, leuchte ich ihr mit der Taschenlampe.
    »Ich möchte die gern dort oben sehen.« Ich richte den Lichtstrahl auf die weiße Leinwand. »Meinst du, das könnten wir hinkriegen?«
    Dylan kneift die Augen zusammen. Ich stupse sie an. »Du bist doch gut im Tüfteln, oder?«
    Mann kann fast die Ideen durch ihren Kopf wandern sehen, säuberlich und logisch sortiert.
    »Kannst du Dias davon machen?«, fragt sie schließlich.
    »Ja.«
    »Wir brauchen einen batteriebetriebenen Projektor, aber das ist einfach …«
    Sie grübelt weiter. Dann sagt sie: »Alles klar, kein Problem.«
    Sie nimmt die Taschenlampe und geht durch die Sitzreihen zurück zur Tür. Ich höre sie die knarrenden Treppenstufen zum Vorführraum hochlaufen. Über mir taucht im Vorführfenster ein dünner Lichtstrahl auf – da ist sie, rückt Gegenstände beiseite, entwirrt Leitungen, macht etwas aus nichts.

Der nächste Sommer

1
    Wie am ersten Tag ruft Ms Delani uns in der Reihenfolge unserer Plätze auf, und das heißt, ich komme als Letzte dran, aber das geht in Ordnung. Sie hat alle Fotos von den Wänden abgenommen, um Platz für neue zu machen. Ich habe während der Wartezeit ein Buch aufgeschlagen.
    Als ich drankommen soll, ist der Unterricht in wenigen Minuten zu Ende. Ms Delani bedankt sich bei allen für das gute Jahr und entlässt sie. Dann sagt sie: »Caitlin, jetzt bist du dran.«
    Ich drücke meine Mappe an die Brust und folge ihr ins Büro.
    Sie klappt ihr Notenbuch zu.
    Wir wissen, dass hinter meinem Namen drei schlechte Noten und eine lange Reihe von Nullen stehen. Aber ich halte zwölf neue Fotos in den Händen.
    Sie mustert mich besorgt durch ihre Brillengläser.
    »Sag, dass du mir etwas Gutes zeigen willst.«
    Ich verlagere mein Gewicht auf den anderen Fuß und stehe da wie ein
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