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Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Titel: Ich werde immer da sein, wo du auch bist
Autoren: Nina Lacour
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geht die Anwesenheitsliste durch.
    »Matthew Livingston?«
    »Hier.«
    »Valerie Watson?«
    »Anwesend!«, zwitschert ANGEL .
    »Dylan Schuster?«
    Diesen Namen kenne ich nicht. Niemand antwortet. MrRobertson sieht auf.
    »Kein Dylan Schuster?«
    Die Tür vor mir öffnet sich, und ein Mädchen streckt den Kopf rein. Ich habe sie noch nie gesehen, und in dieser ziemlich kleinen Schule kennt jeder jeden. Ihre Haare sind dunkelbraun, fast schwarz, und zerzaust, viel zerzauster als der Wuschellook, den manche Mädchen toll finden. Sie sieht aus, als stünde sie unter Strom. Schwarzer Eyeliner umrahmt verschmiert ihre Augen, die den Raum scannen. Sie sieht aus wie jemand, der nicht weiß, ob er reinkommen soll oder draußen bleiben will.
    »Dylan Schuster?«, fragt MrRobertson noch einmal in den Raum.
    Die Neue sieht ihn mit weitaufgerissenen Augen an.
    »Mann!«, sagt sie. »Sie sind echt gut.«
    Er lacht, und sie schlendert herein, mit einer Messenger-Bag über der Schulter und einem Becher Kaffee in der Hand. Ihr T-Shirt ist an einer Seite zerrissen und wird von Sicherheitsnadeln zusammengehalten. Ihre Jeans sind die engsten, die ich jemals gesehen habe, und sie ist unglaublich lang und dünn. Ihre Stiefel bummern zwischen den Tischen durch, bis in die letzte Reihe. Ich drehe mich nicht um, weil ich sie nicht angaffen will, ich stelle mir nur vor, wie sie in die hinterste Ecke geht und sich auf den Stuhl lümmelt.
    Als MrRobertson mit seiner Liste fertig ist, geht er zwischen den Tischreihen auf und ab und erzählt uns, was wir in diesem Jahr alles durchnehmen werden.

6
    Ich bin allein im Trakt, wo die Naturwissenschaftsräume sind, stehe auf dem abgetretenen Fußboden und atme die muffige Luft ein. Die Spinde bei den Englischräumen sind wie üblich von Taylor und den übrigen Stars unserer Schule belegt.
    Letztes Jahr hatten Ingrid und ich uns für Spinde im Fremdsprachenflur entschieden, direkt neben den Englischräumen, zwar noch sichtbar, aber weit genug von den Strebern weg. Niemand sucht sich einen Spind im Naturwissenschaftstrakt. Der ist weg von allem – außer von den Naturwissenschaften –, auf dem sozialen Radar quasi nicht vorhanden. Ich wünschte, er würde ewig so leer bleiben.
    Es fühlt sich falsch an, einen Spind zu besetzen, wenn man nichts zum Wegschließen hat. Ich überlege, ob ich mit der Spindwahl so lange warten soll, bis ich irgendetwas habe, das lohnt, weggeschlossen zu werden – aber der hier ist wirklich gut: Es ist der nördlichste Spind im nördlichsten Gebäude der Vista Highschool. Wenn ich hier durch die Tür ginge, würde ich auf dem Gehweg stehen. Wenn ich die Straße überqueren würde, wäre ich von hier verschwunden. Vielleicht ist die Möglichkeit, jederzeit abhauen zu können, der Grund, weshalb dies für mich der perfekte Spind ist.
    Ich habe kein Klebeband dabei, deshalb beiße ich die Hälfte von meinem Kaugummi ab und klebe ihn auf die Rückseite von Ingrids Hügelfoto. Im Spind hängt ein blinder, verkratzter rechteckiger Spiegel. Ich vermeide sorgfältig jeden Blickkontakt mit mir, aber aus den Augenwinkeln sehe ich glatte braune Haare und ein paar Sommersprossen. Mein Gesicht ist undeutlicher und schmaler als früher. Ich drücke das Foto auf den Spiegel und bin verschwunden. Übrig bleibt nur der hübsche, stille Ort.
    Jemand lehnt sich gegen den Nachbarspind. Dylan. Aus der Nähe sehen ihre Haare noch verstrubbelter aus, einzelne Strähnen umrahmen wie Stacheln ihr Gesicht.
    »Hey«, sagt sie.
    »Hi.«
    Sie schaut mich so lange an, dass ich mich schon frage, ob mit meinem Aussehen etwas nicht stimmt, ob ich einen Tintenfleck auf der Stirn habe oder so. Dann grinst sie mich an, mit einem etwas rätselhaften Lächeln. Sie wirkt irgendwie belustigt, aber nicht überheblich. Bevor sie geht, wühlt sie in ihrer Tasche herum und lässt ihr Vorhängeschloss mit einem Knall an dem leeren Spind neben meinem einrasten. Sie stiefelt davon, und ich bin wieder allein. Langsam schließe ich die Tür, die Scharniere quietschen. Als ich das Schloss zuschnappen lasse, verkündet ein leiser, deutlich hörbarer Klick: Das ist mein Spind.

7
    Ich habe mich erst ein paar Schritte vom Schulgelände entfernt, als Moms Volvo-Kombi neben mir hält.
    Sie beugt sich aus dem Fenster und brüllt: »Caitlin!«, als ob ich nicht gemerkt hätte, dass meine Mutter in dem Auto sitzt, das neben mir angehalten hat. Sie fährt den Volvo, solange ich denken kann. Schon der Friedenstauben-Aufkleber
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