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Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Ich werde immer da sein, wo du auch bist

Titel: Ich werde immer da sein, wo du auch bist
Autoren: Nina Lacour
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ihr stimmt alles. Sie macht nur gerade wie du eine schwierige Phase durch.«
    »Oh«, sage ich ironisch.
»Eine schwierige Phase.«
    Mom schlürft ihren Tee. Ich beiße in eine California Roll, und Sojasoße läuft mir übers Kinn. Ich wische sie mit der Serviette ab und hoffe, dass der Kellner nicht irgendwo steht und uns beobachtet.
    »Ich will nicht zu einem Therapeuten gehen«, knurre ich.
    Mom schaut traurig in ihre Reisschale. Ich wüsste gern, was sie denkt.
    Danach reden wir nicht mehr viel, und ich habe deshalb irgendwie Schuldgefühle, aber ich weiß nicht, warum sie das Thema überhaupt angesprochen hat. Sie kann doch nicht erwarten, dass ich auf jeden ihrer Vorschläge eingehe, bloß weil sie mich zum Essen ausführt.

8
    Am Freitagabend sitze ich mit meinen Eltern beim Abendessen und schweige. Dad fragt mich nach meiner ersten Schulwoche aus, in dem gleichen fröhlichen Ton, den Mom schon seit Tagen anschlägt. Ich gebe einsilbige Antworten und piekse mit der Gabel Nudeln auf. Bald reden sie lieber miteinander, und ich höre nicht mehr zu. Als ich das nicht länger aushalten kann, stehe ich auf, werfe meine Essensreste in den Müll und stelle meinen Teller in den Geschirrspüler.
    Ich klettere auf den Rücksitz von meinem Auto und stemme die Knie gegen die Überzüge, die ich kahlgezupft habe. Vor drei Monaten hätte ich meine Führerscheinprüfung machen sollen, aber anstatt Rückwärtseinparken zu üben, habe ich zugesehen, wie der Sarg meiner besten Freundin in die Erde versenkt wurde. Jetzt kann ich mich nicht aufraffen, bei der Führerscheinstelle anzurufen und mir einen neuen Termin geben zu lassen.
    Das Auto ist so alt, dass es bloß einen Kassettenrecorder hat. Ich besitze nur eine Kassette. Zum Glück ist sie gut. Ingrids Bruder Davey hat sie mir letztes Jahr zum Geburtstag aufgenommen. Es sind lauter Indie-Bands drauf, von denen ich vorher noch nie was gehört hatte. Die Songs gehen fast ineinander über, und sie sind alle wahnsinnig toll. Ich drehe den Zündschlüssel, und eine traurige Stimme klagt durch die Lautsprecher. Ein paar Minuten später kommt mein Dad.
    »Hast du eigentlich keine Hausaufgaben auf? Wenn du sie jetzt erledigst, kannst du das Wochenende besser genießen.«
    »Nein«, lüge ich.
    Er hebt meinen Rucksack hoch. »Ich hab dir den mitgebracht – für alle Fälle.«
    Nach einer Weile hole ich mein Mathebuch und ein paar Blätter Papier heraus. Die Kassette dreht sich um. Leise Gitarrenklänge mit Gesang. Es ist eines meiner Lieblingslieder. Ich versuche meine Matheaufgaben zu machen, aber ich habe keinen Taschenrechner im Auto. Plötzlich wünsche ich mir, das Telefon würde klingeln. Ich stelle mir vor, wie meine Mutter mit dem schnurlosen Telefon aus dem Haus kommt und es mir durch das heruntergelassene Fenster reicht. Ich würde mich auf dem Sitz ausstrecken und telefonieren. Zuhören. Sprechen. Mir würde schon was einfallen. Aber der einzige Mensch, der mich jemals angerufen hat, war Ingrid, deshalb weiß ich, dass das nicht geschehen wird. Ich drehe die Musik voll auf. Das ganze Auto zittert.
    Ich schiebe meine Schulsachen vom Rücksitz und lege mich hin. Durch das Fenster im Autodach sehe ich, wie der Himmel langsam dunkler wird. Ich stelle mir vor, dass ich das Telefon zwischen Ohr und Sitz geklemmt habe.
    Na, was hat Veena am Montag für Klamotten angehabt?
, fragt Ingrid.
    Habe ich nicht drauf geachtet.
    Natürlich hast du darauf geachtet. Ich wette, es war etwas Neues.
    Sie hat so getan, als würde sie mich nicht kennen. Da hab ich echt nicht auf ihre Klamotten geachtet.
    Stell dir vor, sie leert ihr Katzenklo aus.
    Hast du nicht gehört, was ich gesagt habe? Sie hat die ganze Woche lang so getan, als würde sie mich hassen.
    Jetzt hab ich’s: Stell dir vor, sie findet verschimmelte Essensreste in ihrem Kühlschrank.
    Mir ist nicht nach Blödeln.
    Wie war es denn ohne mich? Hast du dich mittags mit den ganzen Strebern in der Bibliothek versteckt?
    Wenn du es genau wissen willst: Ich habe mit Alicia McIntosh gegessen. Die hat mir ein Tanktop mit dem Aufdruck CHARITY geschenkt und versprochen, wenn ich es jeden Tag trage, würde sie mich in ihrer Nähe dulden, und ich dürfte in der Cafeteria anstehen, um ihr eine Cola light zu kaufen.
    Hab ich dir gefehlt?
    Warum fragst du?
    Ich möchte es wissen.
    Logisch.
    Ich will, dass du es sagst. Dann geht es mir gut.
    Fick dich.
    Na los, sag’s schon.
    Mom taucht direkt vor meinem Fenster auf, sie winkt mir aus zwanzig
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