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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski
Autoren: Daniel Kehlmann
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ist doch nicht gemütlich. Du siehst nicht gut aus, Miguel, setz dich.«
    »Manuel!«
    »Ja, ja. Setz dich.«
    Mit aller Kraft schob ich ihn auf das Sofa zu, er stolperte vorwärts, griff nach der Lehne, ließ sich nieder. Ich setzte mich neben ihn.
    »Zunächst ein paar Fragen«, sagte ich. »Ich möchte von Ihnen wissen...«
    Das Telefon läutete. Sie griff nach dem Hörer, rief »Nein!« und legte auf.
    »Kinder aus der Nachbarschaft«, sagte Holm. »Sie rufen mit verstellter Stimme an und meinen, wir merken das nicht. Aber da sind sie an den falschen geraten!«
    »An den falschen.« Sie lachte spitz. Holm ging hinaus. Ich wartete: Wer von ihnen würde zuerst sprechen? Kaminski saß vorgebeugt da, Therese nestelte lächelnd am Aufschlag ihrer Jacke; einmal nickte sie, als wäre ihr ein interessanter Gedanke durch den Kopf gegangen.
    Holm kam mit einem Tablett zurück: Teller, Gabeln, ein bräunlicher flacher Kuchen. Er zerschnitt ihn und gab mir eine Scheibe. Der Kuchen war staubtrocken, schwer zu kauen, fast unmöglich zu schlucken.
    »Also.« Ich räusperte mich. »Was haben Sie damals gemacht, nachdem Sie gegangen waren?«
    »Gegangen?« fragte sie.
    »Gegangen«, sagte Kaminski.
    Sie lächelte leer.
    »Sie waren plötzlich verschwunden.«
    »Klingt ganz nach Theschen«, sagte Holm.
    »Ich habe den Zug genommen«, sagte sie langsam, »und bin in den Norden gefahren. Ich habe als Sekretärin gearbeitet. Ich war sehr allein. Mein Chef hieß Sombach, er hat immer zu schnell diktiert, und ich mußte seine Rechtschreibung verbessern. Dann habe ich Uwe getroffen. Wir haben nach zwei Monaten geheiratet.« Sie betrachtete ihre knotigen Hände, auf deren Rücken ein Geflecht von Adern hervortrat. Für einen Moment verschwand ihr Lächeln, und ihr Blick wurde schärfer. »Erinnerst du dich noch an diesen schrecklichen Komponisten?« Ich sah Kaminski an, aber der schien nicht zu wissen, wen sie meinte. Ihre Züge glätteten sich, das Lächeln kehrte zurück. »Jetzt hast du den Kaffee vergessen.«
    »Hoppla!« sagte Holm.
    »Lassen Sie nur«, sagte ich.
    »Wer nicht will, der hat schon«, sagte er und blieb sitzen.
    »Wir hatten zwei Kinder. Maria und Heinrich. Aber die kennst du ja.«
    »Woher soll ich sie kennen?« fragte Kaminski.
    »Uwe hatte einen Autounfall. Jemand ist ihm entgegengekommen, ein Betrunkener, er war gleich tot. Hat nicht gelitten.«
    »Das ist wichtig«, sagte Kaminski leise.
    »Das Wichtigste. Als ich es hörte, dachte ich, ich sterbe auch.«
    »Das sagt sie so«, sagte Holm. »Aber sie ist hart im Nehmen.«
    »Zwei Jahre später habe ich Bruno geheiratet. Von ihm sind Eva und Lore. Lore wohnt drüben, in der Parallelstraße. Ihr müßt geradeaus fahren, die dritte links, dann noch einmal links. Dann seid ihr da.«
    »Wo?« fragte ich.
    »Bei Lore.« Ein paar Sekunden war es still. Wir sahen uns verwirrt an. »Da wolltet ihr doch hin!« Das Telefon läutete, sie hob ab, rief »Nein!« und legte auf. Kaminski faltete die Hände, sein Stock fiel zu Boden.
    »In welchem Geschäft sind Sie?« fragte Holm.
    »Er ist Künstler«, sagte sie.
    »Ach!« Holm zog die Augenbrauen hinauf.
    »Er ist bekannt. Du solltest in der Zeitung nicht nur den Sport lesen. Er war sehr gut.«
    »Das ist lange her«, sagte Kaminski.
    »Diese Spiegel«, sagte sie. »So unheimlich. Das erste Mal, daß du etwas gemacht hast, das nicht...«
    »Was mich ärgert«, sagte Holm, »sind diese Bilder, auf denen man nichts erkennt. So etwas malen Sie aber nicht, oder?« Bevor ich mich wehren konnte, schob er mir noch ein Stück Kuchen auf den Teller; fast wäre es heruntergefallen, Krümel rieselten auf meinen Schoß. Er selbst, sagte Holm, habe Kräuterprodukte hergestellt, eine kleine Fabrik: Duschgel, Tees, Creme gegen Muskelkater. Heute gebe es nur wenig Vergleichbares, man müsse sich damit abfinden, ein gewisser Verfall liege im Wesen der Dinge. »Im Wesen der Dinge!« rief er. »Wollen Sie bestimmt keinen Kaffee?«
    »Ich habe immer an dich gedacht«, sagte Kaminski.
    »Wo es doch so lange her ist«, sagte sie.
    »Ich habe mich gefragt...« Er schwieg.
    »Ja?«
    »Nichts. Du hast recht. Es ist lange her.«
    »Was denn?« fragte Holm. »Nun müssen Sie es auch sagen!«
    »Erinnerst du dich an deinen Brief?«
    »Was ist eigentlich mit deinen Augen?« fragte sie. »Du bist doch Künstler. Ist das nicht schwierig?«
    »Ob du dich an den Brief erinnerst!«
    Ich bückte mich, hob den Stock auf und schob ihn in seine Hand.
    »Wie denn?
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