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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski
Autoren: Daniel Kehlmann
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von ihm verabschieden?«
    Sie trat zurück und lehnte sich an den Gartenzaun. Ich öffnete die Fahrertür. Meine Knie waren immer noch schwach, es tat gut, mich ins Auto zu setzen. Ich schloß die Tür, damit sie uns nicht hören konnte.
    »Ich will ans Meer«, sagte Kaminski.
    »Sie haben mit Bahring gesprochen.«
    »Heißt er so?«
    »Sie haben mir nichts davon gesagt.«
    »Ein freundlicher junger Mann. Sehr gebildet. Ist das wichtig?«
    Ich nickte.
    »Ich will ans Meer.«
    »Ich wollte mich von Ihnen verabschieden.«
    »Kommen Sie nicht mit?«
    »Ich denke nicht.«
    »Das wird Sie überraschen. Aber ich mag Sie.«
    Ich wußte nicht, was ich antworten sollte. Es überraschte mich wirklich.
    »Haben Sie noch den Autoschlüssel?«
    »Warum?«
    Sein Gesicht zerknitterte, seine Nase sah sehr dünn und scharf gezeichnet aus. »Sie wird mich nicht zum Wasser bringen.«
    »Und?«
    »Ich war noch nie am Meer.«
    »Nicht möglich!«
    »Als Kind hat es sich nicht ergeben. Später hat es mich nicht interessiert. In Nizza wollte ich nur Matisse sehen. Ich dachte, ich hätte genug Zeit. Jetzt wird sie mich nicht hinbringen. Das ist die Strafe.«
    Ich sah zu Miriam hinüber. Sie lehnte am Zaun und sah uns ungeduldig an. Ich zog vorsichtig den Schlüssel aus der Tasche.
    »Sind Sie sicher?« fragte ich.
    »Sicher.«
    »Wirklich?«
    Er nickte. Ich wartete noch eine Sekunde. Dann drückte ich den Verriegelungsknopf, und mit einem Klicken schlossen sich alle vier Türen ab. Ich steckte den Schlüssel ins Schloß und ließ den Motor an. Miriam sprang vor und faßte nach dem Türgriff. Während wir anfuhren, rüttelte sie daran, als ich beschleunigte, schlug sie mit der Faust gegen das Fenster, ihre Lippen formten ein Wort, das ich nicht verstand, ein paar Schritte lief sie neben uns, dann sah ich schon im Rückspiegel, wie sie stehenblieb, die Arme fallenließ und uns nachblickte. Plötzlich tat sie mir so leid, daß ich stehenbleiben wollte.
    »Nicht halten!« sagte Kaminski.
    Die Straße dehnte sich, die Häuser zogen vorbei, schon war das Dorf zu Ende. Die Wiesen öffneten sich. Wir waren im freien Land.
    »Sie weiß, wohin wir fahren«, sagte er. »Sie nimmt ein Taxi und kommt uns nach.«
    »Warum haben Sie mir nichts von Bahring gesagt?«
    »Es ging nur um Paris und den armen Richard. Ihnen bleibt alles andere. Das ist doch genug.«
    »Nein, es ist nicht genug.«
    Die Straße beschrieb eine weite Kurve, in der Ferne sah ich die künstliche Wölbung eines Deichs. Ich fuhr an den Straßenrand und hielt.
    »Was ist?« fragte Kaminski.
    »Einen Moment«, sagte ich und stieg aus. Hinter uns zeichneten sich noch die Häuser des Dorfes ab, vor uns war der Deich. Ich breitete die Arme aus. Es roch nach Seetang, der Wind war sehr stark. Ich würde also nicht berühmt werden. Kein Buch würde erscheinen, ich bekam keinen Posten, nicht bei Eugen Manz und nicht anderswo. Ich hatte keine Wohnung mehr, ich hatte kein Geld. Ich wußte nicht, wohin ich gehen sollte. Ich atmete tief ein. Warum war mir so leicht zumute?
    Ich stieg wieder ein und fuhr los. Kaminski rückte an seiner Brille. »Wissen Sie, wie oft ich mir diesen Besuch vorgestellt habe?«
    »Das Millionenspiel«, sagte ich. »Bruno und Uwe. Herr Holm und seine Kräuterprodukte.«
    »Und dieser Sonnenaufgang.«
    Ich nickte und rief mir die Szene zurück: das Wohnzimmer, die Tapeten, Holms Geschwätz, das freundliche Gesicht der Alten, das Gemälde im Flur. »Einen Moment. Wieso wissen Sie davon?«
    »Wovon?«
    »Sie haben mich verstanden. Wieso wissen Sie von dem Bild?«
    »Ach, Sebastian.«

XIII
    Über den Himmel spannte sich ein feines Wolkennetz. Das Meer war in der Nähe des Strandes grau, weiter draußen fast silbern. Ein Sonnenschirm steckte geknickt im Sand, hundert Meter von uns ließ ein Junge einen Drachen steigen, in der Ferne zog ein einsamer Spaniel seine Leine auf und ab; hin und wieder trug der Wind sein Bellen herüber. Der Junge klammerte sich an die Schnur, das Viereck aus Stoff hing knatternd im Wind, es schien kurz vor dem Zerreißen. Ein Holzsteg, an dem im Sommer wohl Boote anlegten, streckte sich über das Wasser. Kaminski ging vorsichtig neben mir, es fiel ihm schwer, das Gleichgewicht zu halten, der Sand klebte an den Schuhen. Der Boden war übersät mit zerbrochenen Muscheln. Die Wellen trugen ihre Schaumkronen heran, rollten über den Sand, zogen sich zurück.
    »Ich will mich setzen«, sagte Kaminski. Er hatte wieder den Schlafrock angezogen, der
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