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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski
Autoren: Daniel Kehlmann
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sich, seine Hand strich über den Griff seines Stockes. Und wenn niemand zu Hause war? Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich läutete noch einmal.
    Und noch einmal.
    Ein dicklicher alter Herr öffnete die Tür. Er hatte dichte weiße Haare und eine knollige Nase, und er trug eine schlabberige Strickjacke. Ich sah Kaminski an, aber der sagte kein Wort. Er stand vorgebeugt, gestützt auf den Stock, den Kopf gesenkt und schien auf etwas zu horchen.
    »Vielleicht haben wir die falsche Adresse«, sagte ich. »Wir wollen zu Frau Lessing.«
    Der dicke Herr antwortete nicht. Er runzelte die Stirn und sah mich an, sah Kaminski an, sah wieder mich an, als wartete er auf eine Erklärung.
    »Wohnt sie hier nicht?« fragte ich.
    »Sie weiß, daß wir kommen«, sagte Kaminski.
    »So ganz stimmt das nicht«, sagte ich.
    Kaminski drehte sich langsam zu mir.
    »Wir haben miteinander gesprochen«, sagte ich, »aber ich bin nicht sicher, ob ich das klargemacht habe. Ich meine... grundsätzlich waren wir uns einig, aber...«
    »Führen Sie mich zum Wagen.«
    »Das ist doch nicht Ihr Ernst!«
    »Führen Sie mich zum Wagen.« So hatte er noch nie geklungen. Ich öffnete den Mund und schloß ihn wieder.
    »Aber kommen Sie doch herein!« sagte der alte Herr. »Freunde von Theschen?«
    »Sozusagen«, antwortete ich. Theschen?
    »Ich bin Holm. Theschen und ich sind... Na ja, wir haben uns zusammengetan. Lebensabend gemeinsam.« Er lachte auf. »Theschen ist drinnen.«
    Kaminski an meinem Arm schien sich nicht rühren zu wollen. Ich zog ihn sacht in Richtung der Tür, bei jedem Schritt stieß sein Stock klickend auf den Boden.
    »Immer weiter!« sagte Holm. »Legen Sie ab!«
    Ich zögerte, aber wir hatten nichts abzulegen. Ein schmaler Flur mit einem bunten Teppich und einer Fußmatte mit der Aufschrift Herzlich Willkommen. An drei Kleiderhaken hingen ein halbes Dutzend Strickjacken, auf dem Boden waren Schuhpaare aufgereiht. Ein Ölbild zeigte einen Sonnenaufgang, unter dem ein schelmischer Hase über ein Blumenbeet hoppelte. Ich holte das Diktaphon hervor und schob es unauffällig in meine Jackentasche.
    »Folgen Sie mir!« sagte Holm und ging vor uns ins Wohnzimmer. »Theschen, rate mal!« Er sah sich nach uns um. »Entschuldigung, wie war der Name?«
    Ich wartete, aber Kaminski schwieg. »Das ist Manuel Kaminski.«
    »Er kennt dich von früher«, sagte Holm. »Erinnerst du dich?«
    Ein helles Zimmer mit großen Fenstern. Gardinen mit Blumenmustern, gestreifte Tapeten, ein runder Eßtisch, eine Kredenz, hinter deren Glasscheibe sich Porzellanteller stapelten, ein Fernseher vor Sofa, Lehnstuhl und Couchtisch, an der Wand ein Telefon, daneben die Fotografie eines ältlichen Ehepaares und eine Reproduktion von Botticellis Geburt der Venus. Im Lehnstuhl saß eine alte Frau. Ihr Gesicht war rund, überzogen von Falten und Fältchen, ihre Haare formten einen weißen Ball. Sie trug eine rosa Wolljacke mit einer auf die Brust gestickten Blume, einen karierten Rock und Plüschpantoffeln. Sie schaltete den Fernseher aus und sah uns fragend an.
    »Theschen hört nicht so gut«, sagte Holm. »Freunde! Von früher! Kaminski! Erinnerst du dich?«
    Sie blickte, immer noch lächelnd, an die Decke. »Natürlich.« Beim Nicken wippte ihre Frisur. »Aus Brunos Firma.«
    »Kaminski!« rief Holm.
    Kaminski hielt meinen Arm so fest, daß es weh tat.
    »Mein Gott«, sagte sie. »Du?«
    »Ja«, sagte er.
    Ein paar Sekunden war es still. Ihre Hände, winzig und wie aus Holz, strichen über die Fernbedienung.
    »Und ich bin Sebastian Zöllner. Wir haben telefoniert. Ich habe Ihnen ja gesagt, daß wir uns früher oder später...«
    »Wollt ihr Kuchen?«
    »Was?«
    »Kaffee muß man erst machen. Setzt euch doch!«
    »Sehr freundlich«, sagte ich. Ich wollte Kaminski zu einem der Sessel führen, aber er rührte sich nicht.
    »Ich habe gehört, du bist berühmt geworden.«
    »Du hast es vorausgesagt.«
    »Was habe ich? Gott, setzt euch doch. Es ist so lange her.« Sie zeigte, ohne einen Finger auszustrecken, auf die freien Stühle. Ich versuchte es noch einmal, Kaminski bewegte sich nicht.
    »Wann haben Sie sich denn nun gekannt?« fragte Holm. »Muß lange her sein, Theschen hat nie etwas erzählt. Sie hat eine Menge erlebt.« Sie kicherte. »Doch, kann man schon sagen, da brauchst du nicht rot zu werden! Zweimal verheiratet, vier Kinder, sieben Enkel. Das ist doch was, oder?«
    »Ja«, sagte ich, »schon.«
    »Ihr macht mich nervös, wenn ihr steht«, sagte sie. »Das
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