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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski
Autoren: Daniel Kehlmann
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doch kein Diebstahl!«
    »Das andere Auto, unseres, wurde inzwischen gefunden. Auf dem Parkplatz einer Raststätte, mit einem sehr höflichen Dankbrief. Wollen Sie ihn?«
    »Nein!«
    Sie nahm ihren Vater am Arm, ich schloß das Auto auf, sie half ihm auf die Rückbank. Er stöhnte leise, seine Lippen bewegten sich stumm. Sie schlug die Tür zu. Nervös holte ich die Schachtel mit den Zigaretten hervor. Es war nur noch eine einzige darin.
    »Ich werde mir erlauben, Ihnen meinen Flug und die Taxifahrt hierher in Rechnung zu stellen. Ich verspreche Ihnen, das wird teuer.« Der Wind zerzauste ihre Haare, ihre Fingernägel waren zerkaut bis hinunter auf das Nagelbett. Die Drohung erschreckte mich nicht. Ich hatte nichts mehr, also konnte sie mir nichts wegnehmen.
    »Ich habe nichts Falsches getan.«
    »Natürlich nicht.« Sie stütze sich auf das Autodach. »Da ist ein alter Mann, den seine Tochter entmündigt hat, nicht wahr? Niemand hat ihm gesagt, daß seine Jugendliebe noch lebt. Sie wollten bloß helfen.«
    Ich hob die Schultern. Im Auto ruckte Kaminskis Kopf vor und zurück, seine Lippen bewegten sich.
    »So ist es.«
    »Woher, glauben Sie, kenne ich diese Adresse?«
    Ich sah sie verwirrt an.
    »Ich weiß es seit langem. Ich habe sie schon vor zehn Jahren besucht. Sie hat mir seine Briefe gegeben, und ich habe sie zerrissen.«
    »Was haben Sie?«
    »Er wollte es. Wir wußten immer, daß jemand wie Sie kommen würde.«
    Ich trat noch einen Schritt zurück und spürte den Gartenzaun im Rücken.
    »Er wollte sie eigentlich nie wiedersehen. Aber seit der Operation wurde er sentimental. Er hat uns alle gebeten, mich, Bogovic, Clure, jeden, den er kennt. Er kennt nicht mehr viele Leute. Wir wollten es ihm ersparen. Sie müssen etwas gesagt haben, das ihn wieder auf die Idee brachte.«
    »Was wollten Sie ihm ersparen? Diese dumme alte Frau zu treffen? Und diesen Idioten?«
    »Dieser Idiot ist ein kluger Mann. Ich nehme an, er hat sich bemüht, die Situation zu retten. Sie wissen nicht, wie leicht und gerne Manuel weint. Sie wissen nicht, wie schlimm es hätte werden können. Und diese alte Frau hat sich vor langer Zeit von ihm befreit. Sie hatte ein Leben, für das er keine Bedeutung hatte.« Sie runzelte die Stirn. »Das haben nicht viele geschafft.«
    »Er ist schwach und krank. Er manipuliert niemanden mehr.«
    »Nein? Als Sie von dem Gefängnis gesprochen haben, mußte ich lachen. Da wußte ich, daß Sie genauso in seiner Hand waren wie wir alle. Hat er Sie nicht dazu gebracht, zwei Autos zu stehlen und ihn durch halb Europa zu fahren?«
    Ich nahm die Zigarette zwischen die Lippen. »Zum letzten Mal, ich habe nicht...«
    »Hat er Ihnen von dem Vertrag erzählt?«
    »Welchem Vertrag?«
    Als sie den Kopf drehte, sah ich zum ersten Mal die Ähnlichkeit mit ihrem Vater. »Ich glaube, er heißt Behring. Hans...«
    »Bahring?«
    Sie nickte. »Hans Bahring.«
    Ich faßte an den Gartenzaun. Eine Metallspitze stach in meine Hand.
    »Eine Artikelserie in einem Magazin. Über Richard Rieming, Matisse und das Paris der Nachkriegszeit. Erinnerungen an Picasso, Cocteau und Giacometti. Manuel hat stundenlang mit ihm gesprochen.«
    Ich warf die Zigarette weg, ohne sie angezündet zu haben. Ich faßte den Zaun fester an, noch fester, so fest ich konnte.
    »Das soll aber nicht heißen, daß Sie unser Haus ganz umsonst durchsucht haben.« Ich ließ den Zaun los, über meine Hand lief ein dünnes Rinnsal Blut. »Vielleicht hätten wir es Ihnen früher sagen sollen. Aber Ihnen bleibt ja der Rest: seine Kindheit, die lange Zeit in den Bergen. Sein ganzes Spätwerk.«
    »Er hat kein Spätwerk.«
    »Richtig«, sagte sie, als wäre ihr das jetzt erst eingefallen. »Dann wird es ein dünnes Buch.«
    Ich bemühte mich, ruhig zu atmen. Ich sah in das Auto: Kaminskis Kiefer bewegten sich, seine Hände umklammerten den Stock. »Wohin fahren Sie jetzt?« Meine Stimme schien mir von weit her zu kommen.
    »Ich suche ein Hotel«, sagte sie. »Er hat...«
    »Seinen Mittagsschlaf versäumt.«
    Sie nickte. »Und morgen fahren wir zurück. Ich gebe das Auto zurück, dann nehmen wir den Zug. Er...«
    »Fliegt nämlich nicht.«
    Sie lächelte. Als ich ihren Blick erwiderte, begriff ich, daß sie Therese beneidete. Daß sie nie ein Leben geführt hatte als seines, daß auch sie ohne Geschichte war. Wie ich. »Seine Medikamente sind im Handschuhfach.«
    »Was ist Ihnen passiert?« fragte sie. »Sie sehen anders aus.«
    »Anders?«
    Sie nickte.
    »Kann ich mich
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