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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski
Autoren: Daniel Kehlmann
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Mädchen, auf Vernissagen in New York, Montreal und Paris. Doch seinen Augen ging es immer schlechter. Er kaufte ein Haus in den Alpen und verschwand aus der Öffentlichkeit.
    Sechs Jahre später organisierte Bogovic in Paris Kaminskis letzte Ausstellung. Zwölf großformatige Gemälde, nun wieder in Tempera. Fast nur helle Farben, Gelb und Hellblau, ein stechendes Grün, durchsichtige Beigetöne; ineinander verschlungene Strömungen, die, trat man zurück oder kniff die Augen zusammen, plötzlich weite Landschaften bargen: Hügel, Bäume, frisches Gras unter einem Sommerregen, eine blasse Sonne, vor der die Wolken zu milchigem Dunst verschwammen. Ich blätterte langsamer. Sie gefielen mir. Ein paar betrachtete ich lange. Das Wasser wurde allmählich kalt.
    Aber es war besser, sie nicht zu mögen, die Reaktionen waren vernichtend gewesen. Man hatte sie als Kitsch, als eine peinliche Entgleisung, als Zeugnis seiner Krankheit bezeichnet. Ein letztes, ganzseitiges Foto zeigte Kaminski, wie er mit Stock, schwarzer Brille und eigenartig heiterem Gesichtsausdruck durch die Ausstellungsräume schlenderte. Fröstelnd klappte ich das Buch zu. Ich legte es neben die Wanne und bemerkte zu spät die große Pfütze. Ich fluchte, so konnte ich es nicht einmal auf dem Kirchenflohmarkt verkaufen. Ich stand auf, öffnete den Abfluß und sah zu, wie ein kleiner Strudel das Wasser hinabsog. Ich sah in den Spiegel. Eine Glatze? Sicher nicht.
    Fast jeder, dem man erzählte, daß Kaminski noch lebte, reagierte mit Überraschung. Es schien unglaubhaft, daß es ihn noch gab, versteckt in den Bergen, in seinem großen Haus, im Schatten der Blindheit und des Ruhmes. Daß er die gleichen Nachrichten verfolgte wie wir, die gleichen Radiosendungen hörte, ein Teil unserer Welt war. Schon seit einer Weile hatte ich gewußt, daß es für mich Zeit war, ein Buch zu schreiben. Meine Karriere hatte gut begonnen, doch sie stagnierte. Zunächst hatte ich an eine Polemik gedacht, einen Angriff gegen einen bekannten Maler oder eine Richtung; mir hatte eine Vernichtung des Fotorealismus vorgeschwebt, dann eine Verteidigung des Fotorealismus, aber plötzlich war der Fotorealismus aus der Mode gekommen. Warum also keine Biographie? Ich hatte zwischen Balthus, Lucian Freud und Kaminski geschwankt, doch dann starb der erste, und der zweite war Gerüchten zufolge schon im Gespräch mit Hans Bahring. Ich gähnte, trocknete mich ab und zog meinen Pyjama an. Das Hoteltelefon läutete, ich ging ins Zimmer und hob, ohne nachzudenken, ab.
    »Wir müssen reden«, sagte Elke.
    »Woher hast du diese Nummer?«
    »Das ist doch egal. Wir müssen reden.«
    Es mußte wirklich dringend sein. Sie war auf Geschäftsreise für ihre Werbeagentur, normalerweise rief sie nie von unterwegs an.
    »Kein guter Moment. Ich bin sehr beschäftigt.«
    »Jetzt!«
    »Natürlich«, sagte ich, »warte!« Ich senkte den Hörer. In der Dunkelheit vor dem Fenster konnte ich die Bergspitzen und einen blassen Halbmond erkennen. Ich atmete tief ein und aus. »Was ist?«
    »Ich wollte schon gestern mit dir sprechen, aber du hast es wieder geschafft, erst heimzukommen, als ich abgereist war. Und jetzt...«
    Ich blies in den Hörer. »Die Verbindung ist nicht gut!«
    »Sebastian, das ist kein Mobiltelefon. Die Verbindung ist in Ordnung.«
    »Entschuldige!« sagte ich. »Einen Moment.«
    Ich ließ den Hörer sinken. Sanfte Panik stieg in mir auf. Ich ahnte, was sie mir sagen wollte, und ich durfte es auf keinen Fall hören. Einfach auflegen? Aber das hatte ich schon dreimal gemacht. Zögernd hob ich den Hörer. »Ja?«
    »Es geht um die Wohnung.«
    »Kann ich dich morgen anrufen? Ich habe viel zu tun, nächste Woche komme ich zurück, dann können wir...«
    »Das wirst du nicht.«
    »Was?«
    »Zurückkommen. Nicht hierher. Sebastian, du wohnst hier nicht mehr!«
    Ich räusperte mich. Jetzt mußte mir etwas einfallen. Etwas Einfaches und Überzeugendes. Jetzt! Aber mir fiel nichts ein.
    »Damals hast du gesagt, es wäre nur für den Übergang. Bloß ein paar Tage, bis du etwas gefunden hättest.«
    »Und?«
    »Das war vor drei Monaten.«
    »Es gibt nicht viele Wohnungen!«
    »Es gibt genug, und so kann es nicht weitergehen.«
    Ich schwieg. Vielleicht war das am wirkungsvollsten.
    »Außerdem habe ich jemanden kennengelernt.«
    Ich schwieg. Was erwartete sie? Sollte ich weinen, schreien, bitten? Dazu war ich durchaus bereit. Ich dachte an ihre Wohnung: den Ledersessel, den Marmortisch, die teure Couch.
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