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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski
Autoren: Daniel Kehlmann
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Aquarelle, die Kühe darstellten, eine Edelweißblüte, einen Bauern mit struppig weißem Bart. Von dem Sturz war meine Hose schmutzig, und eine andere hatte ich nicht mit, aber das würde sich abklopfen lassen. Ich brauchte sofort ein heißes Bad.
    Während die Wanne vollief, packte ich das Diktaphon, die Schachtel mit den Gesprächskassetten und den Bildband Manuel Kaminski, das Gesamtwerk aus. Ich hörte die Nachrichten auf meinem Mobiltelefon ab: Elke bat mich, sofort anzurufen. Der Kulturredakteur der Abendnachrichten brauchte so bald wie möglich den Bahring-Verriß. Dann noch einmal Elke: Sebastian, ruf an, es ist wichtig! Und ein drittes Mal: Bastian, bitte! Ich nickte versonnen und schaltete das Telefon ab.
    Im Badezimmerspiegel betrachtete ich mit einem vage unzufriedenen Gefühl meine Nacktheit. Ich legte den Bildband neben die Wanne. Der Schaum, leise knisternd, roch süßlich und angenehm. Langsam glitt ich ins Wasser, für ein paar Sekunden nahm mir die Hitze den Atem; mir war, als triebe ich in ein weites, unbewegtes Meer. Dann tastete ich nach dem Buch.

III
    Zu Beginn die mißratenen Zeichnungen des Zwölfjährigen: Menschen mit Flügeln, Vögel mit Menschenköpfen, Schlangen und durch die Luft schwebende Schwerter, nicht das geringste Zeichen von Begabung. Dennoch hatte der große Richard Rieming, der zwei Jahre lang in Paris mit Manuels Mutter zusammengelebt hatte, einige davon in seinen Gedichtband Worte am Wegrand aufgenommen. Nach Kriegsausbruch mußte Rieming emigrieren, nahm ein Schiff nach Amerika und starb während der Überfahrt an Lungenentzündung. Zwei Kinderfotos zeigten den rundlichen Manuel im Matrosenanzug, einmal mit einer seine Augen grotesk vergrößernden Brille, das andere Mal blinzelnd, als wäre er zu starkem Licht ausgesetzt. Kein schönes Kind. Ich blätterte um, von der Feuchtigkeit wurde das Papier wellig. Nun kamen die symbolistischen Arbeiten. Er hatte Hunderte davon gemalt, kurz nach Schulabschluß und dem Tod seiner Mutter, allein in einer Pariser Mietwohnung, beschützt von seinem Schweizer Paß, zur Zeit der deutschen Okkupation. Fast alle verbrannte er später, die wenigen, die überdauert hatten, waren schlimm genug: Goldhintergrund, ungelenk gemalte Falken über Bäumen, aus denen dumpf blickende Menschenköpfe wuchsen, eine klobige Schmeißfliege auf einer Blume, die aussah, als wäre sie aus Beton. Weiß Gott, was ihn dazu gebracht hatte, so etwas zu malen. Für einen Moment sank mir das Buch in den Schaum; das glitzernde Weiß schien am Papier hinaufzuklettern, ich wischte es weg. Mit einem alten Empfehlungsbrief Riemings reiste er nach Nizza, um Matisse seine Bilder zu zeigen, aber der riet ihm, seinen Stil zu ändern, und er fuhr ratlos wieder heim. Ein Jahr nach Kriegsende besichtigte er die Salzmine von Clairance, verlor den Führer und irrte stundenlang durch die verlassenen Gänge. Nachdem man ihn gefunden und hinaufgebracht hatte, schloß er sich fünf Tage lang ein. Niemand wußte, was geschehen war. Aber von da an malte er vollkommen anders.
    Sein Freund und Förderer Dominik Silva bezahlte ihm ein Atelier. Dort arbeitete er, studierte Perspektive, Bildaufbau und Farbenlehre, vernichtete alle Versuche, begann von neuem, vernichtete und begann wieder. Zwei Jahre später vermittelte Matisse ihm seine erste Ausstellung in der Galerie Theophraste Renoncourt in Saint Denis. Dort zeigte er zum ersten Mal, ich blätterte weiter, eine neue Bilderserie: die Reflexionen.
    Heute hing sie komplett im Metropolitan Museum in New York. Die Bilder zeigten Spiegel, die einander in unterschiedlichen Winkeln gegenüberstanden. Grausilberne Gänge in die Unendlichkeit öffneten sich, leicht gekrümmt, erfüllt von unheimlichem, kaltem Licht. Details der Rahmen oder Unreinheiten auf dem Glas vermehrten sich und reihten sich in identisch schrumpfenden Kopien auf, bis sie weit entfernt aus dem Blickfeld verschwanden. Auf einigen Bildern waren, wie aus Versehen, noch Details des Malers zu erkennen, eine Hand mit einem Pinsel, die Ecke einer Staffelei, scheinbar zufällig von einem der Spiegel festgehalten und vervielfacht. Einmal erzeugte eine Kerze einen Brand Dutzender parallel aufzüngelnder Flammen, ein andermal dehnte sich eine mit Papieren übersäte Tischplatte, in deren Ecke eine Postkartenreproduktion von Velazquez' Las Meninas lag, zwischen zwei einander rechtwinklig treffenden Spiegeln, in denen durch die Reflexion des einen in dem anderen ein dritter entstand, der
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