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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski
Autoren: Daniel Kehlmann
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die Dinge allerdings nicht verkehrt, sondern richtig herum zeigte, zu einem merkwürdig symmetrischen Chaos: ein ungeheuer komplizierter Effekt. André Breton schrieb einen begeisterten Artikel, Picasso kaufte drei Bilder, es sah aus, als würde Kaminski berühmt werden. Doch das geschah nicht. Niemand wußte warum; es geschah einfach nicht. Nach drei Wochen ging die Ausstellung zu Ende, Kaminski nahm die Bilder wieder mit nach Hause und war so unbekannt wie zuvor. Zwei Fotos zeigten ihn mit einer insektenhaft großen Brille. Er heiratete Adrienne Malle, die Besitzerin eines gutgehenden Papiergeschäftes, und lebte vierzehn Monate in gewissem Wohlstand. Dann verließ ihn Adrienne mit der neu geborenen Miriam, und die Ehe wurde geschieden.
    Ich öffnete den Heißwasserhahn; zuviel, ich unterdrückte einen Schmerzenslaut; etwas weniger, gut so. Ich stützte das Buch auf den Wannenrand. Es gab viel, über das ich mit ihm sprechen mußte. Wann hatte er von seiner Augenkrankheit erfahren? Warum hatte die Ehe nicht gehalten? Was war in der Mine passiert? Ich hatte die Meinungen anderer auf Band, aber ich brauchte Zitate von ihm selbst; Dinge, die er noch nie gesagt hatte. Mein Buch durfte nicht vor seinem Tod und nicht zu lange danach herauskommen, für kurze Zeit würde er im Mittelpunkt des Interesses stehen. Man würde mich ins Fernsehen einladen, ich würde über ihn sprechen, und am unteren Bildrand würde in weißen Buchstaben mein Name und Kaminskis Biograph eingeblendet sein. Das würde mir einen Posten bei einem der großen Kunstmagazine einbringen.
    Das Buch war jetzt schon ziemlich naß. Ich überschlug die restlichen Reflexionen und blätterte zu den kleineren Öl-Tempera-Gemälden des nächsten Jahrzehnts. Er hatte wieder allein gelebt, Dominik Silva hatte ihm regelmäßig Geld gegeben, manchmal hatte er ein paar Bilder verkauft. Seine Palette wurde heller, seine Linienführung knapper. Er malte bis an die Grenze der Kenntlichkeit abstrahierte Landschaften, Stadtansichten, Szenen belebter Straßen, die sich in klebrigem Nebel auflösten. Ein Mann zog im Gehen seine verschwimmenden Konturen hinter sich her, Berge waren in einen Brei von Wolken geschlungen, ein Turm schien vom zu starken Andrang des Hintergrundes durchsichtig zu werden; vergeblich bemühte man sich, ihn klar auszumachen, aber was eben noch ein Fenster gewesen war, erwies sich nun als Lichtreflex, was wie kunstvoll geschmücktes Mauerwerk ausgesehen hatte, als bizarr geformte Wolke, und je länger man hinsah, desto weniger fand man noch von dem Turm. »Es ist ganz einfach«, sagte Kaminski in seinem ersten Interview, »und verteufelt schwer. Ich werde nämlich blind. Das male ich. Und das ist alles.«
    Ich lehnte den Kopf an die gekachelte Wand und stützte das Buch auf meine Brust. Chromatisches Licht am Abend, Magdalena beim versonnenen Gebet und vor allem Gedanken eines schläfrigen Spaziergängers nach dem berühmtesten Gedicht Riemings: eine kaum erahnbare Menschengestalt, die verloren durch bleigraue Dunkelheit irrte. Der Spaziergänger wurde, eigentlich bloß Riemings wegen, in eine Ausstellung der Surrealisten aufgenommen, wo er zufällig Claes Oldenburg auffiel. Zwei Jahre später wurde auf Oldenburgs Vermittlung eine von Kaminskis schwächsten Arbeiten, Die Befragung des heiligen Thomas, in einer Pop-Art-Ausstellung der Leo Castelli Galerie in New York gezeigt. Den Titel erweiterte man um den Zusatz painted by a blind man und brachte daneben ein Foto von Kaminski mit dunkler Brille an. Als man ihm davon erzählte, ärgerte er sich so sehr, daß er sich ins Bett legen mußte und zwei Wochen unter fiebriger Grippe litt. Als er wieder aufstehen konnte, war er berühmt.
    Ich streckte vorsichtig die Arme und schüttelte erst die rechte, dann die linke Hand aus; das Buch war doch ziemlich schwer. Durch die offene Tür fiel mein Blick auf das Bild des alten Bauern. Er hielt eine Sense in den Händen und betrachtete sie stolz. Es gefiel mir. Im Grunde gefiel es mir besser als die Bilder, über die ich Tag für Tag schrieb.
    Vor allem wegen des Gerüchtes über seine Blindheit waren Kaminskis Gemälde plötzlich um die Welt gegangen. Und als man seine Beteuerungen, daß er noch immer sehen konnte, allmählich glaubte, war nichts mehr rückgängig zu machen:
    Das Guggenheim Museum veranstaltete eine Werkschau, die Preise stiegen in schwindelerregende Höhen, Fotos zeigten ihn mit seiner vierzehnjährigen Tochter, damals wirklich ein hübsches
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