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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski
Autoren: Daniel Kehlmann
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»Er sagte immer, er würde lange unbekannt sein. Dann berühmt, dann wieder vergessen. Sie schreiben darüber? Dann schreiben Sie auch... daß wir es nicht wußten.«
    »Was?«
    »Daß man so alt werden kann.«
    »Wie war noch der Name?«
    »Sebastian Zöllner.«
    »Von der Universität?«
    »Ja... von der Universität.«
    Er schnaufte, seine Hand wanderte schwer über seine Glatze. »Lassen Sie mich überlegen. Kennengelernt? Ich habe Dominik gefragt, wer der arrogante Kerl ist, er sagte Kaminski, als hätte das etwas zu bedeuten. Sie wissen vielleicht, man hatte schon Kompositionen von mir aufgeführt.«
    »Interessant«, sagte ich müde.
    »Meist hat er nur vor sich hin gelächelt. Wichtigtuer. Sie kennen solche Leute, die sich für groß halten, bevor sie noch irgend etwas... Und dann erfüllt sich das auch, mundus vult decipi. Ich habe an einer Symphonie gearbeitet, ein Quartett von mir war in Donaueschingen aufgeführt worden, und Ansermet hatte zugesagt...«
    Ich räusperte mich.
    »Ja, Kaminski. Deshalb sind Sie ja hier. Sie sind ja nicht wegen mir hier. Sondern wegen ihm, ich weiß. Einmal mußten wir seine Bilder ansehen, bei Dominik Silva zu Hause, er hatte dieses Appartement in der Rue Verneuil. Kaminski selbst saß gähnend in der Ecke und tat so, als wäre ihm alles langweilig. Vielleicht war es das auch, könnte ich ihm nicht verdenken.
    Sagen Sie, von welcher Universität kommen Sie eigentlich?«
    *
    »Habe ich richtig verstanden«, fragte Dominik Silva, »daß Sie für das Essen bezahlen?«
    »Bestellen Sie, was Sie möchten!« sagte ich überrascht. Hinter uns brausten die Autos in Richtung Place des Vosges vorbei, die Kellner schlängelten sich geschickt zwischen den Korbstühlen hindurch.
    »Ihr Französisch ist gut.«
    »Es geht.«
    »Manuels Französisch war immer furchtbar. Ich habe nie jemanden getroffen, der so unbegabt für Sprachen war.«
    »Sie waren nicht leicht zu finden.« Er sah dürr und zerbrechlich aus, seine Nase saß spitz auf einem eigentümlich nach innen gewölbten Gesicht.
    »Ich lebe unter anderen Bedingungen als früher.«
    »Sie haben viel für Kaminski getan«, sagte ich vorsichtig.
    »Überschätzen Sie das nicht. Wenn nicht ich, dann ein anderer. Leute wie er finden immer Leute wie mich. Er war ja kein reicher Erbe. Sein Vater, ein Schweizer polnischer Abstammung oder umgekehrt, ich weiß nicht mehr, ging vor seiner Geburt in Konkurs und starb, seine Mutter wurde später von Rieming unterstützt, aber viel hatte der auch nicht. Manuel brauchte immer Geld.«
    »Sie haben seine Miete bezahlt?«
    »Das kam vor.«
    »Und heute sind Sie... nicht mehr vermögend?«
    »Zeiten ändern sich.«
    »Woher kannten Sie ihn?«
    »Von Matisse. Ich hatte ihn in Nizza besucht, er sagte mir, es gäbe einen jungen Maler in Paris, Protegé von Richard Rieming.«
    »Und seine Bilder?«
    »Nicht umwerfend. Aber ich dachte, das wird sich ändern.«
    »Warum?«
    »Eher seinetwegen. Er machte einfach den Eindruck, als könnte man etwas von ihm erwarten. Zu Beginn malte er ziemlich schlechtes Zeug, überfrachteter Surrealismus. Das änderte sich mit Therese.« Seine Lippen preßten sich aufeinander; ich fragte mich, ob er noch Zähne im Mund hatte. Immerhin hatte er gerade ein Steak bestellt.
    »Sie meinen Adrienne«, sagte ich.
    »Ich weiß, wen ich meine. Das überrascht Sie vielleicht, aber ich bin nicht senil. Adrienne kam später.«
    »Wer war Therese?«
    »Mein Gott, alles! Sie hat ihn vollkommen verändert, auch wenn er das nie zugeben würde. Sie haben sicher von seinem Erlebnis in der Salzmine gehört, er redet ja oft genug davon.«
    »Ich fahre übermorgen hin.«
    »Tun Sie das, es wird Ihnen gefallen. Aber Therese war wichtiger.«
    »Das wußte ich nicht.«
    »Dann sollten Sie von vorne anfangen.«
    *
    »Nun mal ganz offen. Halten Sie ihn für einen großen Maler?«
    »Aber sicher.« Ich begegnete Professor Komenews Blick. »In Grenzen!«
    Komenew faltete die Hände hinter dem Kopf, sein Stuhl kippte mit einem Ruck nach hinten. Sein Bärtchen stand spitz und leicht gesträubt von seinem Kinn ab. »Also der Reihe nach. Über die frühen Bilder müssen wir keine Worte verlieren. Dann die Reflexionen. Sehr ungewöhnlich für diese Zeit. Technisch großartig. Aber doch ziemlich steril. Eine gute Grundidee, zu oft, zu genau und zu minutiös durchgeführt, und der Altmeistergestus mit den Tempera macht es auch nicht besser. Etwas zuviel Piranesi. Dann das Chromatische Licht, der
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