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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski
Autoren: Daniel Kehlmann
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Die Zimmerbar, die Stereoanlage und den großen Flachbildfernseher. Sie hatte wirklich jemanden getroffen, der ihr Gerede über die Agentur, über vegetarische Ernährung, Politik und japanische Filme anhören wollte? Schwer zu glauben.
    »Ich weiß, daß das nicht leicht ist«, sagte sie mit brüchiger Stimme. »Ich hätte es dir auch nicht... am Telefon gesagt. Aber es gibt keinen anderen Weg.«
    Ich schwieg.
    »Und du weißt doch, daß es so nicht weitergehen kann.«
    Das hatte sie schon gesagt. Aber warum nicht? Ich sah das Wohnzimmer klar vor mir: hundertdreißig Quadratmeter, weiche Teppiche, die Aussicht auf den Park. An Sommernachmittagen legte sich ein südlich weiches Licht auf die Wände.
    »Ich kann das nicht glauben«, sagte ich, »und ich glaube es nicht.«
    »Solltest du aber. Ich habe deine Sachen gepackt.«
    »Was hast du?«
    »Du kannst deine Koffer abholen. Oder nein, wenn ich nach Hause komme, lasse ich sie dir in die Abendnachrichten bringen.«
    »Nicht in die Redaktion!« rief ich. Das fehlte noch! »Elke, ich werde dieses Gespräch vergessen. Du hast nie angerufen, und ich habe nichts gehört. Nächste Woche reden wir über alles.«
    »Walter hat gesagt, wenn du noch einmal herkommst, wirft er dich selbst hinaus.«
    »Walter?«
    Sie antwortete nicht. War es wirklich nötig, daß er auch noch Walter hieß?
    »Am Sonntag zieht er ein«, sagte sie leise.
    Ach so! Nun verstand ich: Die Wohnungsknappheit trieb die Menschen doch zu erstaunlichen Dingen. »Wo soll ich denn hin?«
    »Ich weiß nicht. In ein Hotel. Zu einem Freund.«
    Einem Freund? Das Gesicht meines Steuerberaters tauchte vor mir auf, dann das eines ehemaligen Schulkollegen, den ich vorige Woche auf der Straße getroffen hatte. Wir hatten ein Bier miteinander getrunken und nicht gewußt, worüber wir reden sollten. Die ganze Zeit hatte ich mein Gedächtnis nach seinem Namen durchsucht.
    »Elke, das ist unsere Wohnung!«
    »Es ist nicht unsere. Hast du dich je an der Miete beteiligt?«
    »Ich habe das Badezimmer gestrichen.«
    »Nein, das waren Maler. Du hast sie bloß angerufen. Bezahlt habe ich.«
    »Willst du mir das vorrechnen?«
    »Warum nicht?«
    »Ich kann das nicht glauben.« Hatte ich das schon gesagt? »Ich hätte nicht gedacht, daß du dazu fähig bist.«
    »Ja, nicht wahr?« sagte sie. »Ich auch nicht. Ich auch nicht! Wie kommst du mit Kaminski zurecht?«
    »Wir haben uns sofort verstanden. Ich glaube, er mag mich. Die Tochter ist ein Problem. Sie schirmt ihn von allem ab. Ich muß sie irgendwie loswerden.«
    »Ich wünsche dir alles Gute, Sebastian. Vielleicht hast du noch eine Chance.«
    »Was heißt das?«
    Sie antwortete nicht.
    »Einen Moment! Das will ich wissen. Was meinst du damit?«
    Sie legte auf.
    Sofort wählte ich die Nummer ihres Mobiltelefons, aber sie meldete sich nicht. Ich versuchte es wieder. Eine ruhige Computerstimme bat mich, eine Nachricht zu hinterlassen. Ich versuchte es wieder. Und wieder. Nach dem neunten Mal gab ich auf.
    Plötzlich sah das Zimmer nicht mehr gemütlich aus. Die Bilder von Edelweiß, Kühen und zerzaustem Bauer hatten etwas Bedrohliches, die Nacht draußen schien nahe und unheimlich. War das meine Zukunft? Pensionen und Untermietzimmer, lauschende Vermieterinnen, Küchengerüche zu Mittag und frühmorgens der Lärm fremder Staubsauger? Dahin durfte es nicht kommen!
    Die Arme war wohl völlig durcheinander, beinahe tat sie mir leid. Wie ich sie kannte, bereute sie es schon; spätestens morgen würde sie weinend anrufen und um Entschuldigung bitten. Mir konnte sie nichts vormachen. Schon ein wenig beruhigt nahm ich das Diktaphon, legte die erste Kassette ein und schloß die Augen, um mich besser zu erinnern.

IV
    »Wen?«
    »Kaminski. Manuel K-A-M-I-N-S-K-I. Sie haben ihn gekannt?«
    »Manuel. Ja. Ja, ja.« Die Alte lächelte ausdruckslos. »Wann war das?«
    »War was?«
    Sie drehte mir ein wächsern verschrumpeltes Ohr zu. Ich beugte mich vor und schrie: »Wann!«
    »Mein Gott! Dreißig Jahre.«
    »Es müssen über fünfzig sein.«
    »Soviel nicht.«
    »Doch. Sie können nachrechnen!«
    »Er war sehr ernst. Dunkel. Immer irgendwie im Schatten. Dominik hat uns vorgestellt.«
    »Gnädige Frau, was ich eigentlich fragen wollte...«
    »Haben Sie Pauli gehört?« Sie zeigte auf einen Vogelkäfig. »Er singt so schön. Sie schreiben über das alles?«
    »Ja.«
    Der Kopf sank ihr hinunter, einen Moment dachte ich, sie wäre eingeschlafen, doch dann zuckte sie und richtete sich wieder auf.
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