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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski
Autoren: Daniel Kehlmann
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bevorstehenden Kaminski-Renaissance gesprochen: Neue Dissertationen würden geschrieben, das Centre Pompidou bereite eine Sonderausstellung vor, und da sei auch der dokumentarische Wert seiner Erinnerungen, man dürfe nicht vergessen, was er noch gesehen, wen er gekannt habe; Matisse sei sein Lehrer, Picasso sein Freund, Richard Rieming, der große Dichter, sein Ziehvater gewesen. Ich sei gut mit Kaminski bekannt, eigentlich sogar befreundet, es bestehe kein Zweifel, daß er freimütig mit mir sprechen würde. Bloß eine Kleinigkeit fehle noch, dann würde alles Interesse sich ihm zuwenden, die Illustrierten würden über ihn schreiben, der Preis seiner Bilder würde steigen und die Biographie ein sicherer Erfolg. »Und was ist das?« hatte Megelbach gefragt. »Was fehlt?« - »Er muß natürlich sterben.« - Eine Weile war Megelbach auf und ab gegangen und hatte nachgedacht. Dann war er stehengeblieben, hatte mich lächelnd angesehen und genickt.
    »Das freut mich«, sagte ich. »Knut ist ein alter Freund.«
    »Wie heißen Sie noch?« fragte Kaminski.
    »Wir müssen ein paar Dinge festlegen«, sagte Miriam. »Wir möchten...«
    Das Geräusch meines Mobiltelefons unterbrach sie. Ich zog es aus der Hosentasche, sah die Nummer des Anrufers und schaltete ab.
    »Was war das?« fragte Kaminski.
    »Wir möchten Sie bitten, uns alles vorzulegen, was Sie veröffentlichen wollen. Als Gegenleistung für unsere Mitarbeit. Einverstanden?«
    Ich sah ihr in die Augen. Ich erwartete, daß sie meinem Blick ausweichen würde, aber seltsamerweise hielt sie stand. Nach ein paar Sekunden sah ich auf den Boden, auf meine schmutzigen Schuhe hinunter. »Natürlich.«
    »Und was die alten Bekannten angeht, die werden Sie nicht brauchen. Sie haben uns.«
    »Leuchtet ein«, sagte ich.
    »Morgen bin ich verreist«, sagte sie, »aber übermorgen können wir beginnen. Sie stellen mir Ihre Fragen, wenn es nötig ist, hole ich seine Auskunft ein.«
    Ich schwieg ein paar Sekunden. Ich hörte Kaminskis pfeifenden Atem, seine Lippen bewegten sich schmatzend. Miriam sah mich an.
    »Einverstanden«, sagte ich.
    Kaminski beugte sich vor und bekam einen Hustenanfall, seine Schultern schüttelten sich, er preßte die Hand auf den Mund, sein Gesicht lief rot an. Ich mußte mich zusammennehmen, um ihm nicht auf die Schulter zu klopfen. Als es vorbei war, saß er starr, wie ausgeleert da.
    »Dann wäre alles geklärt«, sagte Miriam. »Wohnen Sie im Dorf?«
    »Ja«, sagte ich unbestimmt. »Im Dorf.« Wollte sie mich bitten, hier im Haus zu übernachten? Eine schöne Geste.
    »Gut, wir müssen jetzt zu den Gästen zurück. Wir sehen uns übermorgen.«
    »Sie haben Gäste?«
    »Leute aus der Nachbarschaft und unseren Galeristen. Kennen Sie ihn?«
    »Ich habe letzte Woche mit ihm gesprochen.«
    »Werden wir ausrichten«, sagte sie. Ich hatte das Gefühl, daß sie schon an etwas anderes dachte. Sie drückte mir überraschend fest die Hand und half ihrem Vater beim Aufstehen. Die beiden gingen langsam zur Tür.
    »Zöllner.« Kaminski blieb stehen. »Wie alt sind Sie?«
    »Einunddreißig.«
    »Warum machen Sie das?«
    »Was?«
    »Journalist. Mehrere große Zeitungen. Was wollen Sie?«
    »Ich finde es interessant! Man lernt viel und kann sich mit Dingen beschäftigen, die...«
    Er schüttelte den Kopf.
    »Ich würde nichts anderes wollen!«
    Er stieß ungeduldig seinen Stock auf den Boden.
    »Ich weiß nicht, ich... bin irgendwie hineingeraten. Früher war ich bei einer Werbeagentur.«
    »So?«
    Das hatte seltsam geklungen; ich sah ihn an und versuchte zu verstehen, was er gemeint hatte. Aber sein Kopf sank auf die Brust, und seine Miene wurde leer. Miriam führte ihn hinaus, und ich hörte, wie ihre Schritte sich entfernten.
    Ich setzte mich in den Stuhl, in dem gerade noch der Alte gesessen hatte. Sonnenstrahlen fielen schräg ins Fenster, in ihnen tanzten silberne Staubkörnchen. Es mußte schön sein, hier zu wohnen. Ich stellte es mir vor: Miriam war ungefähr fünfzehn Jahre älter als ich, aber damit konnte ich leben, sie sah noch gut aus. Er würde nicht mehr lange dasein, uns blieben das Haus, sein Geld, sicher auch einige Bilder. Ich würde hier wohnen, den Nachlaß verwalten, vielleicht ein Museum einrichten. Ich hätte endlich Zeit, etwas Großes zu schreiben, ein dickes Buch. Nicht zu dick, doch dick genug für die Romanregale in den Buchhandlungen. Womöglich ein Gemälde meines Schwiegervaters auf dem Cover. Oder doch lieber etwas Klassisches.
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