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Ich Und Kaminski

Ich Und Kaminski

Titel: Ich Und Kaminski
Autoren: Daniel Kehlmann
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ein paar Stellen hingen Staubfäden von der Decke, bewegt von einem nicht spürbaren Luftzug. Ich wollte mich setzen, aber in diesem Moment kamen Miriam und, ich erkannte ihn sofort, ihr Vater herein.
    Ich hatte nicht damit gerechnet, daß er so klein war, so winzig und unförmig im Vergleich zu der schlanken Gestalt auf alten Abbildungen. Er trug einen Pullover und eine undurchsichtige schwarze Brille, die eine Hand lag auf Miriams Arm, die andere stützte sich auf einen weißen Spazierstock. Seine Haut war braun und auf ledrige Art faltig, die Wangen hingen schlaff herab, seine Hände wirkten übergroß, die Haare standen wirr um seinen Kopf. Er trug abgewetzte Cordhosen und Turnschuhe, der rechte war nicht zugebunden, und die Schnürsenkel schleiften hinter ihm her. Miriam führte ihn zu einem Stuhl, er tastete nach der Armlehne und setzte sich. Sie blieb stehen und sah mich aufmerksam an.
    »Sie heißen Zöllner«, sagte er.
    Ich zögerte, es hatte nicht wie eine Frage geklungen, auch mußte ich einen Moment grundloser Schüchternheit überwinden. Ich streckte die Hand aus, begegnete Miriams Blick und zog sie wieder zurück; natürlich, ein dummer Fehler! Ich räusperte mich. »Sebastian Zöllner.«
    »Und wir warten auf Sie.«
    War das nun eine Frage gewesen? »Wenn es Ihnen recht ist«, sagte ich, »können wir sofort beginnen. Ich habe alle Vorarbeiten gemacht.« Tatsächlich, ich war fast zwei Wochen lang unterwegs gewesen. Ich hatte noch nie soviel Zeit einer einzigen Sache gewidmet. »Sie werden überrascht sein, wie viele alte Bekannte ich gefunden habe.«
    »Vorarbeit...!« wiederholte er. »Bekannte.«
    Leichte Unruhe stieg in mir auf. Verstand er, was ich sagte? Seine Kiefer bewegten sich, er legte den Kopf schief und schien, aber natürlich war das eine Täuschung, an mir vorbei auf das Bild an der Wand zu sehen. Ich blickte Miriam hilfesuchend an.
    »Mein Vater hat wenig alte Bekannte.«
    »So wenige nicht«, sagte ich. »Allein in Paris...«
    »Sie müssen entschuldigen«, sagte Kaminski. »Ich komme gerade aus dem Bett. Ich habe zwei Stunden lang versucht einzuschlafen, dann habe ich eine Schlaftablette genommen und bin aufgestanden. Ich brauche Kaffee.«
    »Du darfst keinen Kaffee trinken«, sagte Miriam.
    »Eine Schlaftablette vor dem Aufstehen?« fragte ich.
    »Ich warte immer bis zum Schluß, für den Fall, daß ich es allein schaffe. Sie sind mein Biograph?«
    »Ich bin Journalist«, sagte ich, »schreibe für mehrere große Zeitungen. Zur Zeit arbeite ich an Ihrer Lebensgeschichte. Ich habe noch ein paar Fragen, von mir aus können wir morgen anfangen.«
    »Artikel?« Er hob eine seiner riesigen Hände und strich sich über das Gesicht. Seine Kiefer bewegten sich. »Morgen?«
    »Vor allem werden Sie mit mir arbeiten«, sagte Miriam. »Er braucht Ruhe.«
    »Ich brauche keine Ruhe«, sagte er.
    Ihre andere Hand legte sich auf seine andere Schulter, sie lächelte mich über seinen Kopf hinweg an. »Die Ärzte sehen das anders.«
    »Ich bin für jede Hilfe dankbar«, sagte ich vorsichtig.
    »Aber natürlich ist Ihr Vater der wichtigste Gesprächspartner. Die Quelle schlechthin.«
    »Ich bin die Quelle schlechthin«, sagte er.
    Ich rieb mir die Schläfen. Das lief nicht gut. Ruhe? Ich brauchte auch Ruhe, jeder brauchte Ruhe. Lächerlich! »Ich bin ein großer Anhänger Ihres Vaters, seine Bilder haben die Art verändert... wie ich die Dinge sehe.«
    »Aber das stimmt doch nicht«, sagte Kaminski.
    Ich begann zu schwitzen. Natürlich stimmte das nicht, aber ich hatte noch nie einen Künstler getroffen, der diesen Satz nicht glaubte. »Ich schwöre Ihnen!« Ich legte eine Hand auf mein Herz, erinnerte mich, daß diese Geste bei ihm keine Wirkung haben konnte, und zog sie schnell wieder weg. »Einen größeren Bewunderer als Sebastian Zöllner haben Sie nicht.«
    »Wen?«
    »Mich.«
    »Ach ja.« Er hob den Kopf und senkte ihn wieder, für eine Sekunde war mir, als hätte er mich angesehen.
    »Wir sind froh, daß Sie diese Arbeit übernehmen«, sagte Miriam, »es gab mehrere Anfragen, aber...«
    »So viele gab es nicht«, sagte Kaminski.
    »... Ihr Verleger hat Sie sehr empfohlen. Er hält viel von Ihnen.«
    Das war schwer zu glauben. Ich war Knut Megelbach nur einmal in seinem Büro begegnet. Er war händeringend auf und ab gegangen, hatte mit der einen Hand Bücher aus dem Regal genommen und wieder zurückgestellt, mit der anderen das Kleingeld in seiner Hosentasche klimpern lassen. Ich hatte von der
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