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Ich träume deutsch

Ich träume deutsch

Titel: Ich träume deutsch
Autoren: Nilgün Tasman
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über Gott.
    Ich interessierte mich für Bücher über Kindererziehung, für Biografien von Menschen, die Besonderes im Leben erreicht und geleistet hatten, und natürlich für Bücher von Duygu Asena. Lesen, Lernen, Erfahren gaben mir das Gefühl, stark und überlegen zu sein.
     
    Eines Tages sprach mich eine alte Dame an, die ich schon mehrmals in der Bibliothek getroffen hatte. Sie lobte mich sehr und zeigte sich beeindruckt, dass ich trotz meiner Jugend solche Bücher las. Sie setzte sich zu mir und fragte mich nach meinem Alter. Als ich ihr sagte, dass ich fünfzehn sei, klopfte sie mir auf die Schulter.
    „Glaubst du denn, dass in diesen Büchern die Wahrheit steht?“
    |169| Wie aus der Pistole geschossen antwortete ich, dass ich meine eigene Wahrheit hätte. Die Frau war begeistert über meine Worte und sagte: „Du bist eine echte Eurasierin!“
    Meine Babaanne hätte wahrscheinlich gesagt, dass aus dem Mund dieser Frau Worte wie Honig flossen.
    Nach einer langen Unterhaltung sagte die Dame, ich hätte als europäische Asiatin viele Vorteile, nicht nur durch die Kenntnis mehrerer Sprachen, sondern auch durch die Vertrautheit mit unterschiedlichen Kulturen und durch mein besonderes Einfühlungsvermögen.
    Mit dem Honig flossen dieser Dame aber auch Fragezeichen aus dem Mund. Kein Mensch in unserer Familie oder in unserem Freundeskreis hatte jemals von Vorteilen gesprochen, die wir „Deutschtürken“ hätten. Die Bezeichnung „Eurasierin“ gefiel mir allerdings auch viel besser! Es klang so allwissend, interessant und welterfahren.
    Worin bestand denn eigentlich überhaupt der Unterschied zwischen Türken und Deutschen? Machten die Länder und die Sprache oder die Erziehung und das Umfeld, das uns so türkisch oder auch eurasisch gemacht hatte, ihn aus? Hätte meine Babaanne meinen Vater nach der Geburt einer deutschen Familie gegeben, wäre außer seinem schwarzen Bart und seiner dunklen Haut nichts an meinem Vater türkisch geworden? Hätte er Bier statt Raki getrunken und rote Wurst statt Kebab gegessen? Oder lag die Begründung für den Unterschied vielleicht in den Genen?
    Warum sollten wir „Eurasier“ uns denn überhaupt für nur ein Land und eine Kultur entscheiden, wenn wir doch so viele Vorteile davon hatten, mehr zu kennen? Um all diese Fragen zu klären, musste ich noch viel lesen und lernen. Denn nur dadurch bekam man Flügel!

|170|
Ein Brief aus der Türkei
    Meine süße Tochter,
    Inşallah geht es dir gut in der Fremde. Wir danken Allah, dass er uns diese Tage geschenkt hat. Nun sind wir seit sechs Monaten in unserer Heimat, und der Muezzin erfüllt fünfmal am Tag unsere Herzen mit Allah. Meine Zunge ist sehr zögerlich, wenn ich Heimat sage. Zwanzig Jahre Deutschland haben aus uns „Deutschtürken“ gemacht. Hier erkennt uns jeder von weitem. Beim Metzger, auf der Bank oder beim Arzt. Wie werden immer gleich gefragt, ob wir „Alamanci“ sind. Als würde es auf unserer Stirn stehen. Wir waren zwanzig Jahre Ausländer und müssen wahrscheinlich den Rest unseres Lebens in der eigenen Heimat auch als Ausländer verbringen. Vieles hat sich hier verändert, oder wir sind nicht mehr die Alten. Warum soll ich lügen, Allah kennt mein Herz. Ich vermisse unsere Freunde in Deutschland, die langen Abende und die schönen Gespräche über die Sehnsucht nach der Heimat. Vielleicht war die Sehnsucht schöner als ihre Erfüllung. Ich weiß es nicht, meine Tochter. Nun sind unsere Herzen wieder mit Sehnsucht erfüllt, nach dir und nach unseren Freunden, die noch in Deutschland leben. Wir vermissen die Sauberkeit und die Ordnung in Deutschland. Hier wirft jeder seinen Müll einfach auf die Straße, und es gibt so viele Menschen, die ständig jammern. Ich verstehe diese Menschen nicht! Du siehst, mein Herz ist voll Kummer und Sehnsucht. Allah möge uns beistehen. Wir werden uns hier schon einleben, mach dir keine Sorgen. Ich hoffe nur, dass es nicht noch mal zwanzig Jahre dauert.
    Birsen schreibt uns regelmäßig aus Ankara. Einer ihrer Söhne hat sofort nach seinem Studium geheiratet. Bruder Ali |171| hat uns schon zweimal besucht, aber er hat immer noch keinen reichen Schwiegersohn gefunden.
    Es ist so schön, Freunde aus alten Zeiten zu sehen. Deinem Vater geht es gut. Er sitzt viel im Café, und wie du weißt, betet Hasan, seit wir hier leben, fünfmal am Tag.
    Mine, Ismail und deinem Neffen Ersan und deiner Nichte Damla geht es gut. Die Kinder erfüllen unsere Herzen mit Freude! Mine spricht
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