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Ich träume deutsch

Ich träume deutsch

Titel: Ich träume deutsch
Autoren: Nilgün Tasman
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Sätze. Es waren Worte gegen Männer, gegen die Unterdrückung der Frauen, über die körperliche Gewalt, die Frauen nicht nur in der Türkei, sondern auf der ganzen Welt angetan wurde.
    Jeder Satz aus ihrem Mund erinnerte mich an meine Anne, an Hayriye Teyze, Gönül Teyze, Ayse Teyze und die frisch verheiratete Sibel Teyze, an meine Babaanne und an die anderen Frauen, die wir kannten.
    Birsen Teyze zog ein anderes Buch aus ihrem Regal und hielt es hoch. Der Titel des Buches ließ mich schaudern: „Frauen haben keinen Namen“.
    „Evet, Kizlar, wir haben keinen Namen!“
    Sie knallte das Buch auf den Tisch. Mine und ich zuckten zusammen.
    „Das zeigt doch, wie viel Rechte wir als Frauen haben. Nämlich gar keine!“, sagte sie und nahm noch einen Schluck von ihrem Wein. „Kämpft Mädchen, kämpft um einen Namen, dann seid ihr frei!“
    Mine lächelte und erklärte Birsen Teyze, dass man bei unseren Eltern nie frei sein könne.
    „Ihr müsst Tinte lecken. Ihr müsst studieren und an die Universität gehen. Das gibt euch Flügel, Mädchen! Vor Universitäten und belesenen Frauen haben Männer Angst und Respekt. Oder ihr werdet reich, dann seid ihr auch frei!“, sagte sie und wir mussten alle lachen.
    |161| „Para, Geld, das stellt die Ehre wieder her. Klug oder reich müsst ihr sein, dann habt ihr einen Namen“, sagte sie, breitete ihre Arme aus und kreiste um den Tisch, als würde sie fliegen. Mine und ich flogen hinterher und hatten großen Spaß!
    Birsen Teyze war der Meinung, dass wir türkischen Frauen die besten Manager und Politiker sein müssten, da wir von klein auf dazu gezwungen seien, uns zu organisieren und zu lügen. Mein Herz begann zu pochen, und ich fühlte mich plötzlich ertappt. Schließlich verschaffte ich mir durch meine geschickten Ausreden oder auch Lügen immer mehr Freiheiten.
    Birsen Teyze, besser gesagt Duygu Asena war der Meinung, dass wir Frauen lügen müssten, um überhaupt atmen zu können. Also war das, was ich täglich praktizierte, gar nicht so schlimm. Und eine Frau wie Duygu Asena musste es ja wohl wissen! Dies war ein Kompliment und eine Bestätigung meines Verhaltens.
    So euphorisch hatten wir Birsen Teyze noch nie erlebt. Wir redeten fast die ganze Nacht, und einige Fragen, die ich nie zu stellen gewagt hätte, wurden in dieser Nacht beantwortet. Fragen über Allah, Christen und andere Religionen. Birsen Teyze fand auch andere Religionen gut, an die wir nicht mal denken durften, da man sonst, laut meiner Mutter, versteinern würde.
    „Männer benutzen Allah immer, um uns klein zu halten“, sagte sie, zog noch ein Buch aus dem Regal und schlug eine bestimmte Seite darin auf.
    „Seht her, Mädchen, hier sind einige Suren aus dem Koran übersetzt“, sagte sie und wir waren ganz erstaunt, dass es überhaupt eine Übersetzung des Korans gab. In dieser Sure wurde die Frau als heilig, sogar als unantastbar beschrieben. |162| Der Mann müsse für die Familie sorgen und er habe der Frau keine Befehle zu erteilen.
    „Also eins steht fest, unser Vater hat den Koran noch nie gelesen!“, sagte ich und knallte meine Faust auf den Tisch.
    Birsen Teyze und meine Schwester lachten. Birsen Teyze hob das Buch etwas höher und las weiter: „Bei Impotenz des Mannes darf sich die Frau scheiden lassen!“ Birsen Teyze sah uns an.
    „Kizlar, ihr wisst doch, was das ist, oder?“ Mine und ich sahen beschämt auf den Boden und Birsen Teyze fing wieder an zu lachen.
    Ich glaube, sie war glücklich, endlich mal mit jemandem darüber zu reden. Und wir waren glücklich, dass wir bei Birsen Teyze sein durften. Es fühlte sich plötzlich alles so gut an. Wir fühlten uns stark, überlegen und waren stolz darauf, Frauen zu sein!
    Die Nacht verabschiedete sich und hinterließ uns ein Paar Flügel. Gedanken, die uns unser Leben lang begleiten sollten. Bücher, die wir später nicht mehr aus der Hand ließen, und Zitate, die uns und unser Leben prägten.
     
    Am nächsten Morgen wurden wir durch ununterbrochenes Klingeln aus dem Schlaf gerissen. Baba kam in die Wohnung, sah die Weinflasche auf dem Tisch stehen und warf Birsen Teyze einen bösen Blick zu.
    „Na, das dürfte dir doch nicht fremd sein“, sagte sie und lächelte unseren Vater an. Sie erntete einen missbilligenden Blick von ihm.
    Wortlos nahmen wir unsere Jacken und verabschiedeten uns von Birsen Teyze. Sie drückte Mine ein Buch von Duygu Asena in die Hand.
    „Nicht aufgeben, Kizlar!“, flüsterte sie.
    |163| Wir liefen unserem
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