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Ich träume deutsch

Ich träume deutsch

Titel: Ich träume deutsch
Autoren: Nilgün Tasman
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Schwester heiraten? Das gefiel mir plötzlich noch weniger als vorher. Eigentlich hätte ich ihn am liebsten geheiratet, weil er so lustig war. Aber dann fiel mir Yalcin wieder ein.
    Özcan hatte zwar wenig Farben auf dem Kopf, aber er war trotzdem ein sehr netter Junge.
    Er hatte sogar mal ein Bild von einer nackten Frau auf den Stuhl von Duman Öğretmen geklebt und der ganzen Klasse erzählt, dass die Frau schwanger werden würde, wenn sich unser Lehrer auf den Stuhl setze. Alle lachten, als Duman Öğretmen Platz nahm, und als der das Bild auf seinem Stuhl entdeckte, wusste er gleich, wer das getan hatte. Özcan bekam eine saftige Ohrfeige und musste eine Stunde auf einem Bein stehen.
    |152| Nach einer höflichen Begrüßungszeremonie verschwand Mine in der Küche und ich saß neugierig neben meiner Anne. Die heiratsfähige Tochter musste einen Mokka kochen und auf jeder Tasse hatte viel Schaum zu sein. Das war ein Zeichen, dass sie eine gute Hausfrau war.
    Natürlich kochte meine Anne heimlich den Mokka und Mine durfte servieren. Ablam war so rot im Gesicht wie eine Tomate und alle betrachteten sie von Kopf bis Fuß.
     
    Der Vater von Özcan fing an zu sprechen: „Im Namen Allahs und in seinem Beisein bitten wir um die Hand Ihrer Tochter Mine für unseren Sohn Özcan.“
    Diesen Spruch kannte ich aus türkischen Filmen und aus den Geschichten, die Anne uns erzählt hatte. Ein großes Schweigen breitete sich im Wohnzimmer aus. Baba sah ganz lange auf den Boden.
    „Es ist uns eine Ehre, dass Sie an unsere Türe klopfen, aber meine Tochter ist noch ein Kind. Wir können gerne in ein paar Jahren darüber sprechen, wenn die Zeit reif ist“, antwortete Baba.
    Der Vater von Özcan setzte noch einmal an und erklärte, dass irgendwann aus allen Töchtern Bräute würden und die beiden sich doch erst mal verloben könnten.
    Aber Baba hob seine Augenbrauen und wiederholte, was er bereits gesagt hatte. Wieder herrschte großes Schweigen.
    Ablam servierte noch Baklava, süßes Gebäck. „Lasst uns Süßes essen und Süßes sprechen“, sagte Annem.
    „Sie haben recht, lasst uns Süßes essen und Süßes sprechen“, wiederholte der Onkel.
    Nachdem alle gegessen und getrunken hatten, verabschiedeten sich die Gäste. Mine kam aus der Küche, sah Baba an und tat so, als ob sie nichts mitbekommen hätte. Dabei |153| hatte sie die ganze Zeit hinter der Küchentür gestanden und gelauscht.
    Babam machte immer noch ein ernstes Gesicht und seine Brauen bildeten einen Strich über den Augen. Ich fing an zu lachen und Baba sagte nur: „Eşoleşek, was gibt es da zu lachen?“ Aber dann lachten alle.
    Baba stand noch lange am Fenster und rauchte seine Zigaretten.
     
    Irgendetwas war geschehen, aber wir wussten nicht, was es war. Von dem Tag an durfte Mine mit ihren Freunden nicht mehr ins Kino und nicht mehr alleine in die Stadt, sie durfte nicht mehr ins Freibad und sie durfte nicht mal ihre beste Freundin Hülya besuchen. Anne sagte, dass Hülya einen Bruder hätte, und die Leute würden Mines Besuch auf ihn beziehen.
    Ablam durfte nicht mehr ohne Anne aus dem Haus gehen, außer zum Bäcker und in die Schule. Manchmal, wenn Mine lange genug weinte, durfte sie ihre Freundin Hülya besuchen, aber nur, wenn sie mich mitnahm. Das gefiel Mine überhaupt nicht. Sie fing unterwegs Streit an und gab mir ohne Grund eine Ohrfeige, damit ich wieder nach Hause lief und sie alleine zu ihrer Freundin gehen konnte.
    Aber nachdem das ein paar Mal vorgekommen war, durfte sie gar nicht mehr aus dem Haus, auch wenn ich dabei war. Anne brachte uns mit dem Auto in die Schule und holte uns sogar ab.
    Mine spielte auch nie wieder mit ihren Puppen und nähte weder für meine noch für ihre Puppen Kleider. Sie hatte all ihren Puppen die Augen mit dem Küchenmesser ausgestochen und ihnen die Haare mit Wasserfarben ganz bunt angemalt. Wenn Ablam vom Bäcker zu spät nach Hause kam, |154| musste sie zuerst erzählen, warum sie sich verspätet hatte. In die türkische Schule durfte sie auch nicht mehr. Alles, was Mine machen wollte, wurde ihr verboten.
    Die Klassenkameraden von Mine bekamen viel mehr erlaubt, aber das waren auch keine Türken.
    „Ein Mensch kann sich ohne seine Ehre begraben lassen. Du bist kein Kind mehr!“, sagte Baba immer wieder.
    „Na und? Ich bin trotzdem eure Tochter und nicht eure Sklavin!“, schrie Mine.
    Wenn Baba dann mit erhobener Hand auf sie zuging, rannte sie auf die Toilette.
     
    Nach langem Betteln durften wir
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