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Ich träume deutsch

Ich träume deutsch

Titel: Ich träume deutsch
Autoren: Nilgün Tasman
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    Helene saß bei schönem Wetter auf den Stufen vor ihrer Haustüre und spielte mit ihren Barbiepuppen. Sie sah aus wie eine Prinzessin mit ihren rosa Kleidern und den dazu passenden Schuhen. Sogar ihre Strümpfe und Haarschleifen waren in den Farben auf ihre Kleider abgestimmt.
    Helene hatte Haare wie Gold, Augen wie das Marmarameer und eine wunderschöne helle Haut. Meine Schwester war auch ungewöhnlich hellhäutig, weil die Vorfahren meiner Anne vom Schwarzen Meer stammen. Die Menschen dort sind bekannt für ihre helle Haut und ihre blauen Augen.
    |14| Meine Anne war ganz anders als die übrigen türkischen Frauen. Annem hatte eine helle Haut, dunkle Augen und sie trug kein Kopftuch wie die meisten türkischen Frauen. Sie hatte Haare, die aussahen wie Milchkaffee, und wenn wir auf eine Hochzeit gingen, schminkte sie sich sogar. Meine Anne war eine sehr schöne Frau und meine Großmutter hatte sie Adalet genannt. Das heißt Gerechtigkeit. Als meine Anne auf die Welt kam, wurde mein Großvater gerade aus dem Gefängnis entlassen. Deshalb hatte sie den Namen „Gerechtigkeit“ bekommen.
    Der Name meines Babas war Hasan, aber was das heißt, weiß ich leider nicht. Er war nicht schön. Er hatte schwarze Haare, schwarze Augen und eine dunkle Haut.
    Ich hatte auch wenig Farben auf dem Kopf. Meine Augen und meine Haare waren schwarz, und ich sah mit meiner dunklen Haut aus wie die meisten türkischen Kinder. Aber ich war schöner als mein Baba. Baba nannte mich immer „Kara Kızım“, meine schwarze Tochter. Mine nannte er „Pamuk Kızım“, meine Watte-Tochter.
    Allah sei gnädig, aber Mine war alles andere als ein luftiges Watteflöckchen. Sie war dick, groß und hatte mit ihren neun Jahren schon richtige Brüste.
    „Bald werden sie an unserer Tür klopfen und um deine Hand anhalten, wenn du weiterhin so wächst!“, sagte Anne zu Mine und war immer ganz stolz auf ihre „Watte-Tochter“.
    Ich dagegen wurde neben Mine meistens übersehen. Ich war für mein Alter zu klein, hatte schwarze Locken und von Brüsten konnte ich nur träumen.
    Aber da war ich nicht die Einzige. Meine Freundin Helene hatte auch noch keine Brüste und war nur wenig größer als ich.
    Paola, Giuseppe und Mine konnten Helene nicht leiden. |15| „Die sieht aus wie eine Puppe und ist genauso dumm wie ihre Eltern“, sagte Mine immer, wenn sie an Helene vorbeilief. Helene tat dann so, als ob sie Mine nicht hören würde, und spielte weiter mit ihren Puppen.
    Mine war manchmal sehr ungerecht und blöd, aber ich musste auf sie hören.
    Ich hatte zwar noch nie mit Helene gesprochen, aber sie war trotzdem meine Freundin.
     
    Onkel Ali war wieder mal bei uns und erzählte ausführlich, was er für großartige Sachen vom Sperrmüll mit in die Türkei genommen und dort für viel Geld verkauft hatte. Er leerte alle Altkleidertonnen bei uns im Ort, und seine Familie in Ostanatolien flickte die Kleider wieder zusammen. Danach verkaufte Onkel Ali alles auf dem Bazar.
    „Du verstehst dein Geschäft Bruder Ali, wir sind zu dumm, um so etwas zu machen. Wir haben ja noch nicht mal einen Fernseher“, jammerte Anne und warf Baba einen bösen Blick zu. Baba verdrehte wie immer die Augen, streckte die Arme Richtung Allah und sagte: „Schick mir Geduld, mein gnädiger und großer Allah!“ Danach schlürfte er seinen Tee weiter.
    Onkel Ali war an den Armen und im Gesicht schwarz behaart wie ein Affe. Seine Familie wohnte in der Türkei, und seine Frau war so dick wie die Kuh meiner Großmutter. Onkel Ali zeigte uns oft Fotos von seinen beiden Töchtern und sagte dann immer: „Ich hoffe, meine Mädchen heiraten bald einen reichen Mann, damit ich nicht mehr so hart arbeiten muss.“ Dabei schaute er nach oben und schenkte Allah ein Grinsen.
    „Möge Allah euch bald zusammenbringen, Bruder Ali, und ich hoffe, dass es nicht mehr lange dauert, bis wir alle |16| wieder in unsere Heimat zurückgehen können!“, sagte meine Anne traurig.
    „Inşallah“, seufzte Onkel Ali.
     
    Wir spielten gerade Verstecken, als Herr Schäufele von der Arbeit nach Hause kam. Immer sah ich ihn an und hoffte, dass er mich nur ein einziges Mal bemerken würde. Manchmal tat ich so, als würde ich niesen, oder ich hustete laut. Aber alles war umsonst. Herr Schäufele nahm mich nicht wahr. Er hatte immer viele Akten unter dem Arm und lief zielstrebig auf sein Haus zu.
    Seine Frau stand jeden Tag zur gleichen Zeit am Fenster und wenn sie ihren Mann kommen sah, stellte sie
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