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Ich träume deutsch

Ich träume deutsch

Titel: Ich träume deutsch
Autoren: Nilgün Tasman
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halten!
    „Helene, deine Eltern sind doch gar nicht da, lass uns damit spielen!“ Ich versuchte, Helene zu überreden, aber sie wollte nicht.
    „Nein, ich zeige dir etwas viel Schöneres, komm, Bosporus.“
    „Warum nennst du mich so? Ich heiße nicht Bosporus, ich heiße Nilgün!“
    „Mein Papa sagt das immer, und ich dachte, das wäre dein Name.“ Helene sah beschämt auf den Boden.
    Dachte Herr Schäufele wirklich, dass alle Türken Bosporus hießen?
    Wir umarmten uns, und meine Freundin Helene drückte mich ganz fest an sich.
    In diesem Haus gab es unendlich viele Zimmer. Ich wusste nicht gleich, in was für einem Zimmer wir jetzt waren, bis ich den Herd entdeckte. Der ganze Raum war voll mit Schränken und Regalen. Wir hatten in unserer Küche nur einen alten Schrank, und meine Anne stellte die Töpfe unter das Waschbecken. Schäufeles hatten auch in der Küche Stühle, die aussahen, als hätte man sie zusammengeklebt und um die Ecke gestellt. Helene sagte, das sei eine Eckbank. Das hatte ich auch noch nie gesehen.
    „Wie viele Zimmer habt ihr eigentlich, verirrst du dich hier nicht?“
    „Nein, so viele sind es nicht. Ohne Speisekammer sind es drei Zimmer und die Küche.“
    Ich kam aus dem Staunen gar nicht mehr raus. Die Familie Schäufele hatten eine Kammer, die so groß war wie die Küche und voller Lebensmittel. Wir hatten kein extra Zimmer für unsere Lebensmittel, und wir aßen im Wohnzimmer auf |20| dem Boden, von einem großen Tablett, das uns meine Großmutter geschenkt hatte.
    Plötzlich klingelte es an der Tür, und wir rannten beide zum Fenster. Mine stand wütend draußen und schrie mich auf Türkisch an. Ich solle sofort nach Hause kommen, Anne würde bald da sein. Aber ich streckte ihr nur die Zunge raus. Ich wollte unbedingt noch einen letzten Blick auf die Puppenstube werfen. Ich genoss jeden Schritt auf diesem blauen, weichen Teppich.
    Leider wurde meine Besichtigung kurze Zeit später von Helenes Eltern unterbrochen. Herr Schäufele durfte das Krankenhaus schon wieder verlassen, weil er nur einen Schwächeanfall gehabt hatte, aber seine Frau weinte immer noch.
    „Jetzt hör endlich auf zu weinen. Das ist doch nichts Schlimmes!“, schimpfte Herr Schäufele und legte seine Hand auf die Schulter seiner Frau.
    Danach holte er tief Luft, schaute mich an, und ich bekam wie üblich Angst.
    Herr Schäufele bedankte sich bei mir und versprach, dass ich ab und zu Helene besuchen dürfe. „Aber nicht zu oft!“, sagte er mit erhobenem Zeigefinger.
    „Ja, danke, Herr Schäufele, das mache ich sehr gerne“, antwortete ich ganz leise und verabschiedete mich von allen.
    Ich hätte laut losschreien können vor Freude. Das war der Durchbruch! Ich war die Einzige, die Schäufeles Haus je von innen gesehen hatte. Ich war so stolz auf mich und wollte es unbedingt meiner Anne erzählen.
    Als ich nach Hause kam, stand Anne bereits in der Küche und kochte.
    „Anne, stell dir vor, was heute passiert ist. Ich habe Herrn Schäufele das Leben gerettet, und ich darf jetzt Helene besuchen, wann immer ich will!“
    |21| Anne schien gar nicht hinzuhören, und sie freute sich auch nicht darüber.
    „Nilgün, du hast deiner Schwester nicht gehorcht, das darf nicht wieder vorkommen! Wer seinen älteren Geschwistern keinen Gehorsam leistet, der wird in der Hölle schmoren. Das ist Günah!“ Anne war wütend und jetzt schrie sie sogar: „Willst du in der Hölle schmoren? Willst du das?“
    Nein, Allah bewahre! Das wollte ich natürlich nicht.
    „Allah sagt doch immer, dass man anderen Menschen helfen soll. Genau das habe ich heute getan! Anne, ich habe endlich eine deutsche Freundin!“
    Aber das interessierte meine Anne überhaupt nicht, und sie drückte mir die Teller in die Hand.
    „Versuch nicht, wie die Deutschen zu sein. Du bist eine Türkin. Sei stolz darauf. Wir sind anders als die Deutschen!“
    Anne war böse auf mich, und ich verstand nicht, was ich falsch gemacht hatte.
    Das Tablett war fertig gedeckt und wir warteten hungrig auf Baba. Anne war immer noch wütend, und Mine grinste schadenfroh vor sich hin.
    Endlich kam Baba zur Tür rein, sagte nur „Merhaba“ und fing gleich an zu essen.
    Beim Essen durften wir nicht miteinander reden, da es Günah war und ein Missachten der Mahlzeit. Aber auch wenn jemand gesprochen hätte, man hätte es nicht gehört, denn mein Baba schlürfte und schmatzte immer sehr laut.
    Während des Essens fiel mir auf, wie dreckig Baba aussah. Seine Kleider waren
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