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Ich träume deutsch

Ich träume deutsch

Titel: Ich träume deutsch
Autoren: Nilgün Tasman
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Baba liebt mich auch nicht mehr. Ich habe niemanden mehr auf dieser Welt. Aber sterben will ich auch nicht, weil ich nicht weiß, ob du mich bei dir aufnimmst. Nach so vielen Sünden kann ich mich bei Allah nicht mehr blicken lassen. Bitte, bitte, lieber Gott, sprich mit Allah und sag ihm, dass es mir sehr Leid tut und dass ich so was Schlimmes nie wieder machen werde. Bitte, lieber Gott, mach, dass ich wieder von Allah geliebt werde und dass er mir verzeiht! Ich danke dir, lieber Gott!“
    Wochenlang sprach ich nicht mit Allah, ich wusste ja, dass er böse auf mich war.

|25|
Vier halbe Hühnchen ohne Schwein bitte!
    Helene und ihre Eltern gingen jeden Sonntag um die gleiche Zeit aus dem Haus. Schäufeles waren sonntags besonders schön gekleidet, und ich stellte mir jedes Mal vor, die Schwester von Helene zu sein. Sie gingen jeden Sonntag in die Kirche und danach immer zum Essen. Am Nachmittag machten sie eine Wanderung über die schwäbische Alb. Helene gefiel das gar nicht, aber sie musste trotzdem immer mitgehen. Wie gerne wäre ich mitgegangen! Nur ein Mal wollte ich wandern gehen. Aber wir verbrachten unsere Wochenenden meistens zu Hause, und ich klebte wie immer am Fenster, um die Schäufeles zu beobachten.
    Ich hatte Baba gefragt, ob er mit uns auf die Schwäbische Alb wandern würde.
    „Wandern ist deutsch, wir Türken leben anders, und so soll es auch bleiben. Hör auf, über so etwas nachzudenken. Die Deutschen wären froh, wenn sie so sein könnten wie wir. Sei stolz, eine Türkin zu sein. Sei stolz, eine Tochter Atatürks zu sein!“, sagte er und zeigte auf den Teppich an der Wand, von dem Atatürk mit der türkischen Fahne in der Hand auf uns herunter sah. Ich war mir sicher, Atatürk wäre auch gerne auf die Schwäbische Alb gewandert, und seinem Stolz hätte das bestimmt nicht geschadet. Aber ich hielt meinen Mund. Baba war sowieso der Meinung, dass ich zu viel redete und meinte, immer alles besser zu wissen.
    Anne bügelte, Tekir lag auf der Matratze vor unserem Kohleofen und Mine kämpfte mit ihren Hausaufgaben.
    Mine mochte weder die Schule noch die Deutschen. Sie wollte wie unsere Eltern so schnell wie möglich in die Heimat zurückkehren. Ich wollte nie für immer zurück in die |26| Türkei. Mir reichten die sechs Wochen im Jahr, die wir bei unseren Verwandten verbringen mussten. Die drei Tage Fahrt im Auto, die Verwandten, die unsere Koffer nach Geschenken durchwühlten und uns nur von ihren Geldsorgen erzählten   ... Ich wollte nicht zurück!
    Das Einzige, was ich in der Türkei liebte, war der Bazar in Istanbul. Der Duft nach Zimt, Henna und Pfeffer. Die goldbeladenen Schaufenster, die schreienden Verkäufer und die leckeren Sesamriegel, die es an jeder Ecke in Istanbul zu kaufen gab. Kein Brot auf der Welt schmeckte so gut wie „Simit“. Nicht einmal die Brezeln vom deutschen Bäcker. Istanbul und der Bazar waren wie ein Märchen und das Einzige, was ich in der Türkei mochte.
    Mir gefiel es in Deutschland und ich liebte die Deutschen, wie sie aussahen, wie sie sprachen und wie sie sich kleideten. Ich liebte ihren Gott, der immer freundlich war und keine „Schicksalsbrücke“ hatte, aber ich war auch stolz, eine Türkin zu sein, denn dann waren meine Eltern besonders lieb zu mir!
     
    Auch wenn ich nicht so sein durfte wie die Deutschen, ich liebte den Geruch von Bratwurst und von Leberkäse. Ich hatte zwar noch nie eine Wurst gegessen, aber jedes Mal, wenn ich mit meiner Anne an der Wurstbude vorbeiging, atmete ich unauffällig ganz tief ein. Mir lief dabei regelmäßig das Wasser im Mund zusammen. Danach entschuldigte ich mich gleich bei Allah und erklärte ihm, dass ich natürlich nie in meinem Leben Schweinefleisch essen würde.
    Aber eines Sonntags kam mein Baba nach Hause und sagte: „Kommt Kinder, zieht euch schön an. Ich habe eine Überraschung für euch.“
    Das musste in der Tat etwas Besonderes sein, sonst wäre |27| Baba sonntags nie so früh aus dem Café nach Hause gekommen.
    Anne holte die Sonntagskleider aus dem Schrank und voller Freude gingen wir los. Baba grinste von einem Ohr zum anderen und lief stolz voraus.
    „So, da sind wir endlich. Heute essen wir nicht zu Hause, sondern hier im Wienerwald!“
    Baba zeigte auf ein Schild, auf dem ein grünes Hühnchen abgebildet war.
    „Aber nicht, dass die uns Schweinefleisch servieren, Hasan. Bist du sicher, dass es nur Huhn ist?“, fragte Anne besorgt.
    „Nein, vertrau mir, ich war schon mit meinen Freunden hier
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