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Ich träume deutsch

Ich träume deutsch

Titel: Ich träume deutsch
Autoren: Nilgün Tasman
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schmutzig und verknittert. Ich dachte mir, kein Wunder, dass Herr Schäufele meinen Baba nicht einmal anschaut, wenn der auch so unordentlich herumläuft! Unter seiner Jacke trug Baba im Winter immer einen dicken Pulli und an wärmeren Tagen ein T-Shirt , aber nie eine Krawatte |22| oder einen Anzug. Nicht einmal sonntags trug Baba eine Krawatte. Nur wenn wir mal auf einer Hochzeit waren, zog er ein weißes Hemd und eine schwarze Hose an. Dabei hätte es mir so gut gefallen, wenn mein Baba auch mal eine Krawatte getragen hätte.
    „Baba,warum trägst du nie eine Krawatte? Das sieht doch viel schöner aus!“
    Baba fing an zu lachen, schüttelte den Kopf und klopfte mir auf die Schulter: „Auf dem Müllwagen eine Krawatte? Soll ich mich zum Idioten machen? Ich muss schon lachen, wenn ich diesem Eşoleşek jeden Morgen begegne.“
    Er meinte natürlich Herrn Schäufele. Das konnte ich nicht hinnehmen und knallte meinen Suppenlöffel auf das Tablett. Dann schrie ich: „Herr Schäufele ist kein Idiot. Du bist nur eifersüchtig auf ihn! Schau dich doch mal an, du siehst aus wie die Bettler in Istanbul!“
    Ich kann mich weder an eine Antwort noch an seine Reaktion erinnern. Als ich meine Augen wieder öffnete, spürte ich ein schreckliches Brennen auf der Wange und ein Klopfen im Ohr. Anne und Mine saßen neben mir. Sogar Tekir starrte mich böse an.
    „Nilgün, geht es dir gut? Soll ich dich zum Arzt bringen? Hörst du mich?“
    „Ja, ich   ... ich höre dich. Wo ist Baba? Hat er mich geschlagen?“
    „Du hast mehr verdient als nur eine Ohrfeige.
    Schämen solltest du dich. In der Hölle wirst du schmoren!“, schrie Anne und fing an zu weinen. Ich musste auch weinen und schämte mich sehr. Diesmal würde Allah mir nicht verzeihen, denn schließlich hatte ich zweimal an diesem Tag gesündigt. Die Angst vor der Hölle und vor Allah ließ meinen ganzen Körper zittern. Ich fing an, mit Gott zu |23| sprechen. Er war der Einzige, der mir in diesem Fall helfen konnte. Gott war gnädiger als Allah, und Gott hatte keine Hölle. Gott musste mir dieses eine Mal noch helfen. Ich betete ganz lange und irgendwann schlief ich weinend mit meinem Teddy ein. Am nächsten Morgen war ich trotzdem glücklich und sehr stolz auf mich. Endlich hatte ich eine deutsche Freundin!
    Anne kam aus der Küche und setzte sich neben mich.
    „Wer lügt, sich gegen seine Eltern stellt oder Schweinefleisch isst, wird von Allah schwer bestraft, Nilgün. Das ist Günah! Denk an die Brücke zwischen Paradies und Hölle. Die Brücke ist so scharf wie eine Klinge und so dünn wie ein Haar. Nur wer keine Sünden hat, wird es schaffen, ins Paradies zu kommen. Und wenn du so weitermachst, wirst du sicher die Schicksalsbrücke zwischen Paradies und Hölle nicht überqueren können und runterfallen in das Flammenmeer!“
    Ich fing wieder an zu weinen. Ich hatte das nicht böse gemeint, und ich wollte auch über die Schicksalsbrücke laufen, um ins Paradies zu kommen. Ich wollte nicht verbrennen.
    Anne nahm mich kurz in ihre Arme und ging dann zur Arbeit. Ich verkroch mich vor Angst unter die Decke. Zum Glück war Tekir noch da.
    Ich musste versuchen, alles wieder gutzumachen. Ich rollte den Gebetsteppich von Baba aus und fing an zu beten. Aber nicht zu Allah! Von dem wollte ich erst mal nichts wissen. Ich betete zu Gott, dem Allmächtigen. Gott war gut, und Gott hatte kein Flammenmeer und keine Hölle. Auch wenn ich keine Deutsche bin, wusste ich, dass Gott mich liebte und mir helfen würde. Das hatte Helene mir gerade gestern erst erzählt. Helene ging mit ihren Eltern jeden Sonntag in die |24| Kirche und betete zu Gott. Wenn Helene mal sündigte, dann musste sie es nur bereuen und in der Kirche dem Pfarrer erzählen. Der telefonierte mit Gott und alles wurde wieder gut.
    Bei Allah war das anders. Als ich meine Anne mal nach der Telefonnummer von Allah gefragt hatte, fiel sie fast um vor Schreck.
    „Allah ist überall! Hör auf, so zu reden. Das ist Günah!“, schrie sie entsetzt.
    Vor Allah hatte ich große Angst. Gott war mein Freund, und ich wusste, dass die beiden sich kannten, und Gott würde mich vor Allah beschützen.
    „Lieber Gott, bitte hör mir zu, auch wenn ich eine Türkin bin. Ich habe ganz viel gesündigt, und Allah hat es natürlich gesehen und wird sich das alles aufschreiben, und ich werde in der Hölle schmoren. Ich weiß, dass die Brücke mich nicht tragen wird, weil ich so viel gesündigt habe. Allah liebt mich nicht mehr, und mein
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